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Arbeit und Alltag
Ausgehend von der Erkenntnis, dass Wissen prozessual und kontextabhängig ist, werden in diesem Band dessen Erzeugung und Nutzung mit ethnografischen Methoden untersucht. Dabei geht es neben der vieldiskutierten "Wissensarbeit" auch um das "Arbeitswissen" überhaupt. Anhand ganz unterschiedlicher Berufszweige von den Creative Industries über Forschung und Verwaltung bis zum medizinischen und pflegerischen Bereich wird dargestellt, wie sich der Umgang mit Wissen im Zeichen zunehmender Ökonomisierung verändert.
Vorwort
Arbeit und Alltag
Autorentext
Gertraud Koch ist Professorin am Institut für Volkskunde/Kulturanthropologie an der Universität Hamburg. Zuvor war sie an der Zeppelin Universität tätig, wo sie von 2003 bis 2013 den Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft und Wissenanthropologie inne hatte. Bernd Jürgen Warneken war außerplanmäßiger Professor am Institut für Empirische Kulturwissenschaft der Universität Tübingen.
Klappentext
Wissen ist heute ein wesentlicher Faktor für wirtschaftliche Entwicklung. Die ethnografischen Studien dieses Bandes liefern empirische Einblicke in die Generierung und Nutzung von Wissen im Kontext von »Wissensarbeit« und »Arbeitswissen«.
Leseprobe
Wissensarbeit und Arbeitswissen: Zur Ethnografie des kognitiven Kapitalismus Eine Einleitung Gertraud Koch und Bernd Jürgen Warneken In Gesellschaften, die sich selbst in der Transition zu Wissensgesellschaften begreifen, gilt Wissen als wesentliche Ressource, die Wohlstand, Entwicklung und nachhaltig produktive Arbeit sichern hilft. Wissen ist dabei allerdings, wie der britische Arbeitsforscher Collin Williams anmerkt, weniger als ein »Rohstoff« und damit als gänzlich neuer Produktivfaktor zu verstehen. Vielmehr handele es sich bei der Betonung des Wissens um eine veränderte Perspektive auf den Faktor Arbeit und auch deren Kommodifizierung (Williams 2005; Williams 2007). Die mit dieser Fokussierung auf Wissen einhergehenden Veränderungen in der Ökonomie bezeichnet Moulier-Boutang (2001) mit dem Begriff »capitalisme cognitif« (vgl. auch Pahl/Meyer 2007) und sieht diesen in Zukunft als primären Modus des kapitalistischen Wirtschaftens. Die Verfügbarkeit und der Zugriff auf sogenannte Externalitäten, also im Umfeld von Unternehmen vorzufindende und mit niedrigen Transaktionskosten einzuverleibende Ressourcen, die sogenannte »netware«, hat dabei einen zentralen Stellenwert. Aus Sicht der Arbeitsforschung stellen sich mit dem postulierten Bedeutungszuwachs von Wissen neue Fragen nach dem Zusammenhang von Wissen, Arbeit und deren kapitalistischer Verwertung. Dabei geht es nicht nur um die Wissensarbeit, die schon seit einiger Zeit als paradigmatisch für zukünftige Arbeitsformen diskutiert wird, sondern genereller um die Nutzbarmachung und die Honorierung verschiedener Wissensformen in unterschiedlichen Arbeitsfeldern. Die Arbeitskulturenforschung kann mit einer kulturtheoretisch informierten Perspektive hier insbesondere auch die Engführungen kognitivistischer Wissensverständnisse erkennbar werden lassen. Der vorliegende Band, hervorgegangen aus einer Tagung im April 2011 an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen, knüpft somit an die kulturanthropologischen und arbeitssoziologischen Diskussionen um den Stellenwert verschiedener Wissensformen in der heutigen Arbeitswelt an. Eine brauchbare Einteilung dieser Formen liefert Frank Blackler, der embrained, embodied, encultured, embedded und encoded knowledge unterscheidet (Blackler 1995). In vielen Analysen der aktuellen, postfordistischen Arbeitskultur wurde davon ausgegangen, dass im Zuge von steigender Verwissenschaftlichung und Informatisierung die Bedeutung von embodied knowledge (von stummem, spontanisiertem, erfahrungsbasiertem Wissen) und embedded knowledge (gruppen- oder organisationskulturell geprägtem Wissen) abnehme und embrained knowledge und encoded knowledge, also kognitives und objektiviertes Wissen, ins Zentrum rückten. Dieser Annahme ist jedoch insbesondere in den letzten Jahren immer mehr widersprochen worden. Dabei wurde vor allem von wissensanthropologischer Seite darauf hingewiesen, dass auch wissenschaftliches Wissen implizite, teils schwer benennbare Anteile hat und zudem in kulturelle Kontexte und soziale Arrangements eingebunden ist. Von arbeitssoziologischer Seite wurde gezeigt, dass nicht nur bei Arbeitswissen allgemein, sondern auch bei sogenannter Wissensarbeit situated skills und pragmatic knowledge eine wesentliche Rolle spielen. Informatiker zum Beispiel kommen nicht mit explizierbarem Fachwissen aus, sondern arbeiten auch mit praktischem Wissen und partizipieren an Handlungs- und Deutungsroutinen ihrer Abteilung. Postuliert wird darüber hinaus ein Trend zur Vervielfältigung der in die heutige Arbeitswelt einbringbaren Wissensformen. Demnach ermöglichen beziehungsweise verlangen die Produktivkräfte und die Organisationsformen der postfordistischen Epoche, dass Arbeitnehmer in ihre Arbeit mit dem ganzen »kulturellen Gepäck« (Gorz 2003) einsteigen, das sie sich in ihrer Arbeits- und Freizeitbiografie erworben haben. Auch die Diagnose einer zunehmenden »Subjektivierung der Arbeit« (Moldaschl/Voß 2002) schließt die wachsende Chance respektive Pflicht ein, jeweils individuelle Kombinationen von kodifiziertem, kognitivem und inkorporiertem, erfahrungsgesättigtem und situationsflexiblem Wissen in die Arbeit einzubringen. Zusammen mit der verstärkten Aufmerksamkeit auf nicht-kognitiven Wissensimplikaten und nicht-kodifizierten Wissensmodi zeichnet die aktuelle Wissensforschung eine Betonung des Prozesscharakters von Wissen aus. So plädiert Frank Blackler dafür, sich von einer auf Wissensbestände fokussierten Wissensforschung zu verabschieden und ihren Gegenstand eher als knowing denn als knowledge zu bezeichnen, nicht zuletzt, weil so die falsche Grenzziehung zwischen Wissen und Lernen aufgehoben würde. Stefan Beck nennt, in Rekurs auf die US-amerikanische Kulturanthropologie, alles Wissen prozessual und praxisbezogen und bestimmt deshalb als Forschungsaufgabe die Ermittlung von Entstehung, Performanz und Transformation von Wissen, ob nun in speziellen Laborversuchen oder im Alltagshandeln. (Beck 2009) Daraus ergibt sich: Wenn Wissensarbeit und Arbeitswissen als sozial, kulturell und situativ »geerdet« anzusehen sind, wenn sich neues Wissen in sozialer Interaktion bildet und mit dem kommunikativen Aushandeln der Lernergebnisse verbunden ist, dann bedarf es einer dieser praxeologischen Sichtweise auf Wissen angemessenen Methodologie der Wissensforschung. Gefragt sind dann insbesondere dichte Beschreibungen von Prozessen der Wissensgenerierung, Wissensfixierung, Wissensvermittlung und Wissensnutzung. »Detailed ethnographic studies are needed to illuminate the ways in which people improvize, communicate and negotiate within expanded activity systems« (Blackler 1995: 1040). Dem aktuellen Stand der Wissenstheorie entspricht mithin eine Wissensempirie, in der qualitativen Methoden und insbesondere einer freilich den teilweise entörtlichten Handlungsfeldern angemessenen Feldforschung eine zentrale Bedeutung zukommt. Konkret bedeutet dies, ethnografisch zu erforschen, wie Wissen in dem breiten kulturanthropologischen Verständnis des Begriffs in Arbeitsprozessen als eine aktiv gemanagte und implizit vorhandene Ressource eingesetzt und verwertet wird, wie Wissensordnungen dabei zur Anwendung gebracht beziehungsweise modifiziert werden, aber auch, wo sich Wissen der Steuerbarkeit entzieht beziehungsweise dieser entgegenwirkt. Eine Rolle spielen hier insbesondere die Vielfalt und das Zusammenwirken unterschiedlicher Wissensformen, wobei mit Praxis, Erfahrung und Emotionalität gerade jene Aspekte des Wissens im Vordergrund stehen, die im dominanten wissensgesellschaftlichen Diskurs nur marginale Beachtung finden oder gar nicht als spezifische Dimensionen des Wissens thematisiert werden. Die eingängige Differenzierung in Ar…