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Vor mehr als 250 Jahren wurde das Reich errichtet, in dem King Cotton herrscht. Krieg, Sklaverei und Ausbeutung standen an seiner Wiege. Während fremde Kulturen rücksichtslos zerschlagen wurden, häuften Händler im Zusammenspiel mit der Staatsgewalt enorme Vermögen an. Ein neues ökonomisches Prinzip begann seinen globalen Siegeszug. Sven Beckert, Professor für Geschichte an der Harvard-Universität, schildert die Geschichte des Kapitalismus im Spiegel eines Produktes, das heute jeder von uns am Leibe trägt - der Baumwolle. Die Geschichte des Kapitalismus gehört zu den spannendsten Themen der aktuellen Geschichtswissenschaft. Fast immer aber geht es dabei um einzelne Epochen oder Regionen. Sven Beckert wagt in seinem brillanten Buch erstmals eine übergreifende Darstellung, die anhand einer einzigen Ware höchst anschaulich zeigt, wie der Kapitalismus entsteht, sich gleichsam einübt und nach und nach die Lebensverhältnisse und Arbeitsbedingungen, ja das Schicksal der Menschen überall auf der Welt seinen Bewegungsgesetzen unterwirft. Das Resultat ist ein ebenso verstörendes wie erhellendes Buch darüber, wie unsere globale Welt von heute entstanden ist.
Sven Beckert, geboren in Frankfurt, ist Professor für amerikanische Geschichte an der Universität Harvard.
Autorentext
Sven Beckert, geboren in Frankfurt, ist Professor für amerikanische Geschichte an der Universität Harvard.
Leseprobe
Einleitung
Die Baumwollpflanze - die Art Gossypium hirsutum aus Zentralamerika ist inzwischen weltweit verbreitet
E nde Januar 1860 versammelten sich die Mitglieder der Handelskammer von Manchester im Rathaus zu ihrer Jahrestagung. Unter den 68 Unternehmern, die dort zusammenkamen, waren vor allem Baumwollkaufleute und Baumwollfabrikanten. In den vorangegangenen 80 Jahren hatten Männer wie sie Manchester zur bedeutendsten Industriestadt der Welt gemacht und zum Knotenpunkt eines globalen Netzwerks der Landwirtschaft, des Handels und der Industrie. Diese Kaufleute erwarben Rohbaumwolle aus den verschiedensten Anbauregionen und belieferten damit die Fabriken in der Umgebung von Manchester, in denen sich mittlerweile zwei Drittel aller weltweit betriebenen Baumwollspindeln drehten. Ein riesiges Heer von Arbeitern war damit beschäftigt, diese Baumwolle zu Garn zu spinnen und zu Stoffen zu weben, die dann von Händlern auf den Weltmärkten veräußert wurden.
Die versammelten Herren waren in Feierstimmung. Ihr Präsident Edmund Potter hob in seiner Ansprache das "beeindruckende Wachstum" ihrer Industrie und "den allgemeinen Wohlstand des ganzen Landes und ganz besonders dieser Region" hervor. Baumwollspinnereibesitzer John Cheetham pries den "ganz beträchtlichen Aufschwung, der sich in verschiedenen Fabriken bemerkbar macht", und schrieb diesen Erfolg größtenteils dem immensen Wachstum der asiatischen Märkte zu. Sein Publikum pflichtete ihm mit Zwischenrufen bei, als er fortfuhr, er rechne bald schon mit einer weiteren Expansion dieser Märkte, da die "Weber in Indien ihre schlecht bezahlten Tätigkeiten in diesem Handwerk aufgeben werden, um wieder der Beschäftigung nachzugehen, die wir ihnen nahelegen, nämlich der Landwirtschaft".[ 1 ]
Diese Baumwollfabrikanten und -kaufleute waren nicht ohne Grund so selbstgefällig: Sie standen im Zentrum eines weltumspannenden Imperiums - nicht des Britischen Empire, sondern des Imperiums der Baumwolle. Sie herrschten über Fabriken, in denen zehntausende von Arbeitern riesige Spinnmaschinen und lärmende mechanische Webstühle bedienten. Sie kauften Baumwolle von den amerikanischen Sklavenplantagen und verkauften ihre Fabrikerzeugnisse auf den Märkten in den entlegensten Winkeln der Erde. Indessen waren ihre eigenen Angelegenheiten - die Produktion und der Verkauf von Baumwollgarn und -stoff - nahezu banal. Sie waren die Besitzer von lauten, schmutzigen, überfüllten Fabriken; sie lebten in Städten, die schwarz waren vom Ruß der kohlebetriebenen Dampfmaschinen, und atmeten den Gestank von menschlichem Schweiß und Abfall. Sie beherrschten ein Imperium, wirkten aber kaum wie Herrscher.
Hundert Jahre zuvor deutete wenig auf diese neue Welt hin, die da entstanden war. Natürlich wussten einige Europäer von feinen indischen Musselinen, Chintzen und Kattunen, die von den Franzosen indiennes genannt wurden und in den Häfen von London, Barcelona, Le Havre, Hamburg und Triest ankamen. Frauen und Männer in den ländlichen Gegenden Europas spannen und webten in Heimarbeit geringe Mengen Baumwolle, konnten jedoch mit den prachtvollen Stoffen des Ostens kaum konkurrieren. In Süd- und Mittelamerika, in der Karibik, in Afrika und besonders in Asien säten die Menschen Baumwolle auf ihren Süßkartoffel-, Mais- und Hirsefeldern. Sie spannen die Faser und webten aus ihr die Stoffe, die ihre Familien benötigten oder die ihre Herrscher einforderten. Seit Jahrhunderten oder sogar Jahrtausenden stellten diese Menschen in diesen Teilen der Welt Baumwollgewebe her und bedruckten sie. Einige dieser Textilien wurden weltweit gehandelt; manche waren so außergewöhnlich fein, dass sie als "gewobener Lufthauch" bezeichnet wurden.
Anstelle von Frauen, die auf niedrigen Hockern in ihren Hütten saßen, an kleinen hölzernen Rädern spannen oder Spinnrocken und Spinnschalen bewegten, tanzten um 1860 nun Mil