Mit der Einführung des Code pénal in Frankreich 1810 und seiner Ausbreitung in Folge der napoleonischen Kriege setzte eine weitgehende Liberalisierung des Homosexualitätsstrafrechts ein. In Bayern waren homosexuelle Akte seit ab 1813 straffrei, in Württemberg waren sie ab 1839 nur noch Antragsdelikt, ebenso in Braunschweig ab 1840. In Hannover ab 1840 und Baden ab 1845 wurde Homosexualität nur noch im Zusammenhang mit der Erregung eines öffentlichen Ärgernisses bestraft. Das Preußische Landrecht hinkte mit seinen Strafbestimmungen also deutlich hinter der europäischen und "deutschen" Entwicklung hinterher. Dass seine Bestimmungen in ein erstes deutsches Reichsstrafgesetzbuch eingingen, war also alles andere als selbstverständlich. Jens Dobler beschreibt die Geburtsstunde des § 175 StGB vor diesem Hintergrund nicht als einseitige Durchsetzung reaktionärer Politik, sondern als ein "Spektakel in verschiedenen Arenen": Er skizziert die widerstreitenden Kräfte innerhalb eines komplexen Systems von Politik, Jurisprudenz, anderen Wissenschaften und "Betroffenen", vor allem aber auch von einer Öffentlichkeit, deren schwankende Stimmung stark von brisanten, aktuellen Ereignissen geprägt wurde. Diese stark geweitete Perspektive auf ein folgenreiches Kapitel deutscher Rechtsgeschichte eröffnet neue Fragestellungen auch für die Erforschung der jeweiligen gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen, die spätere Reformbemühungen zum § 175 lange scheitern ließen.
Autorentext
Jens Dobler, Jahrgang 1965, lebt in Berlin. Er promovierte an der Technischen Universität in Neuerer Geschichte über die Homosexuellenverfolgung durch die Berliner Polizei zwischen 1848 und 1933. Davor studierte er Erziehungswissenschaften, Psychologie und Neuere Geschichte. Bevor er sich der Geschichtsforschung zuwandte, arbeitete er viele Jahre als Wissenschaftsjournalist über Antischwule Gewalt. Heute ist er Archiv- und Bibliotheksleiter des Schwulen Museums in Berlin.
Klappentext
Mit der Einführung des Code pénal in Frankreich 1810 und seiner Ausbreitung in Folge der napoleonischen Kriege setzte eine weitgehende Liberalisierung des Homosexualitätsstrafrechts ein. In Bayern waren homosexuelle Akte seit ab 1813 straffrei, in Württemberg waren sie ab 1839 nur noch Antragsdelikt, ebenso in Braunschweig ab 1840. In Hannover ab 1840 und Baden ab 1845 wurde Homosexualität nur noch im Zusammenhang mit der Erregung eines öffentlichen Ärgernisses bestraft. Das Preußische Landrecht hinkte mit seinen Strafbestimmungen also deutlich hinter der europäischen und "deutschen" Entwicklung hinterher. Dass seine Bestimmungen in ein erstes deutsches Reichsstrafgesetzbuch eingingen, war also alles andere als selbstverständlich. Jens Dobler beschreibt die Geburtsstunde des § 175 StGB vor diesem Hintergrund nicht als einseitige Durchsetzung reaktionärer Politik, sondern als ein "Spektakel in verschiedenen Arenen": Er skizziert die widerstreitenden Kräfte innerhalb eines komplexen Systems von Politik, Jurisprudenz, anderen Wissenschaften und "Betroffenen", vor allem aber auch von einer Öffentlichkeit, deren schwankende Stimmung stark von brisanten, aktuellen Ereignissen geprägt wurde. Diese stark geweitete Perspektive auf ein folgenreiches Kapitel deutscher Rechtsgeschichte eröffnet neue Fragestellungen auch für die Erforschung der jeweiligen gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen, die spätere Reformbemühungen zum § 175 lange scheitern ließen.
Zusammenfassung
Mit der Einfuhrung des Code penal in Frankreich 1810 und seiner Ausbreitung in Folge der napoleonischen Kriege setzte eine weitgehende Liberalisierung des Homosexualitatsstrafrechts ein. In Bayern waren homosexuelle Akte seit ab 1813 straffrei, in Wurttemberg waren sie ab 1839 nur noch Antragsdelikt, ebenso in Braunschweig ab 1840. In Hannover ab 1840 und Baden ab 1845 wurde Homosexualitat nur noch im Zusammenhang mit der Erregung eines offentlichen Argernisses bestraft. Das Preuische Landrecht hinkte mit seinen Strafbestimmungen also deutlich hinter der europaischen und "e;deutschen"e; Entwicklung hinterher. Dass seine Bestimmungen in ein erstes deutsches Reichsstrafgesetzbuch eingingen, war also alles andere als selbstverstandlich. Jens Dobler beschreibt die Geburtsstunde des 175 StGB vor diesem Hintergrund nicht als einseitige Durchsetzung reaktionrer Politik, sondern als ein "e;Spektakel in verschiedenen Arenen"e;: Er skizziert die widerstreitenden Krfte innerhalb eines komplexen Systems von Politik, Jurisprudenz, anderen Wissenschaften und "e;Betroffenen"e;, vor allem aber auch von einer ffentlichkeit, deren schwankende Stimmung stark von brisanten, aktuellen Ereignissen geprgt wurde. Diese stark geweitete Perspektive auf ein folgenreiches Kapitel deutscher Rechtsgeschichte erffnet neue Fragestellungen auch fr die Erforschung der jeweiligen gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen, die sptere Reformbemhungen zum 175 lange scheitern lieen.