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Unter welchen Bedingungen kann transnationale Politik in einer Welt gravierender Ungleichheit gerecht sein, ohne zu bevormunden? Wenn Hilfeleistung und Entwicklungszusammenarbeit durch eine Form der Gegenseitigkeit ersetzt würden, die Geber und Empfänger gleichermaßen verändert - wäre dies dann gerechter oder ist Gerechtigkeit per se ein Paradox? Unter Einbeziehung postkolonialer Theorien diskutiert Franziska Dübgen, inwiefern die transnationale Entwicklungshilfe eine Form der Machtausübung darstellt, die grundlegende Beziehungen der Ungerechtigkeit fortschreibt.
»Dübgens Verbindung der post-kolonialen Theorieperspektiven mit dem globalen Gerechtigkeitsdiskurs und insbesondere ihre Auseinandersetzung mit nicht-westlichen, vornehmlich afrikanischen Philosophinnen und Philosophen macht ihr Buch zu einem äußerst lesenswerten Stück der jüngeren kritischen Theorie.« Henning Hahn, Ehtik und Gesellschaft, 15.03.2015 »Der Autorin gelingt es, den Wandel in den Zielen der deutschen Entwicklungspolitik anschaulich zu beschreiben und so das Interesse des Lesers zu wecken.« Felix Heuveldop, Welttrends, 05.10.2015 »Die Spannbreit der behandelten Fragen und Theorien macht diese Buch zu einer dichten, aber ausgesprochen interessanten und anregenden Lektüre ... Dübgen wird ihrem eigenen Anspruch, Machreflexivität auszuüben durch die Auseinandersetzung mit Autor_innen, die im deutschen Diskurs fast unsichtbar sind, gerecht und leistet damit einen wichtigen Beitrag für eine noch herzustellende akademische Gerechtigkeit.« Anke Graness, polylog, 01.09.2015
Autorentext
Franziska Dübgen, Dr. phil., ist Fellow am Lichtenberg-Kolleg in Göttingen.
Leseprobe
Einleitung Bei einem Sparziergang durch die Hauptstadt Ghanas begegnete mir vor mehreren Jahren ein Taxi, das vor einem modernen Internetcafé geparkt war und auf dem ein Schild befestig war mit der Aufschrift: »Respect the poor!«. Entgegen dem gewöhnlichen Alltagsverständnis forderte der Besitzer dieses Wagens nicht, Armen zu helfen oder Armut zu bekämpfen. Er forderte etwas bei Weitem Schwierigeres und Provokanteres: den Armen Respekt entgegenzubringen. Die Aufschrift auf dem Schild in Accra begleitete mich in den nächsten Monaten und Jahren in meiner Forschung. Ich fing an, darüber nachzudenken, wie dieses Verlangen interpretiert werden sollte: Einerseits könnte man annehmen, der Verfasser weise daraufhin, dass als Arme stigmatisierte Akteure häufig zusätzliche Demütigungen erfahren, welche über eine zunächst materielle Enteignung hinausreichen. Andererseits könnte man diese Selbstaffirmation positiv wenden und davon ausgehen, dass hier Armut als eine Form des einfachen Lebensstils bewusst vom konsumorientierten Kapitalismusmodell unterschieden wird. Schließlich lenkt der Autor der Aufschrift unser Augenmerk auf die Bewohner Accras selber, die sich trotz ihrer Armut behaupten und trotz ihrer Marginalisierung ins Armenviertel sich ihrer selbstbewussten Stimme nicht berauben lassen. Eine weitere Intuition begleitete diese Forschung, die ich im Rahmen der Lektüre von Schriften über globale Gerechtigkeit, die sich mit Fragen von Armut und Entwicklung befassten, stets aufs Neue mit Unbehagen hegte: Die wiederkehrende Beobachtung, dass »Entwicklungspolitik«, Armut und Gerechtigkeit zwar häufig als komplementäre Begriffsfelder zueinander gedacht werden, praktisch wie auch normativ jedoch nicht unbedingt zueinander gehören und häufig einander sogar widersprechen. So kann das einseitige Sprechen über »unterentwickelte« Länder selber eine Form rhetorischer Gewalt manifestieren, welche einen respektvollen Dialog über Gerechtigkeit verhindert und Ungerechtigkeit und Abhängigkeiten im Gegenzug reproduziert: Die Semantik der Entwicklungshilfe kann Fragen der Gerechtigkeit zugunsten einer Rhetorik der Barmherzigkeit in den Hintergrund drängen und sich dadurch der zentralen Fragen von Ausbeutung und Unterdrückung entledigen. Auch gilt es zu fragen, ob Entwicklung überhaupt als eine Frage der Gerechtigkeit verhandelt werden sollte und wenn ja, wie dies sinnvoll getan werden könnte. Schließlich behauptet der Entwicklungstheoretiker Wolfgang Sachs in seiner Einleitung zum Development Dictionary (2010) im Rückblick auf die vergangenen Entwicklungsdekaden: »In the development age, the rich world was able to sidestep the hard issues of justice, because economic growth was seen as the main tool to bring greater equity. [] however, this approach has definitely turned out to be one-sided; it is not just the poor but also the rich, and their economy as well, that have to be called into question.« (Sachs 2010: xiii-xiv) Sachs beobachtet, dass die Sprache der Gerechtigkeit zwischen Menschen zunehmend durch ein ökonomistisches Entwicklungsdenken verdrängt worden sei und dass dieser Prozess zu einem verkehrten Blick auf die Beziehung zwischen den Begriffen »Entwicklung« und »Gerechtigkeit« geführt habe. Zwar werde Entwicklung als Desiderat für ärmere Länder angenommen, jedoch bemäntele diese Sichtweise die Schattenseiten eines kapitalistischen Entwicklungsdenkens: die soziale Ungleichheit, die mit Modernisierungsprozessen einhergeht, die Entrechtung von indigenen Völkern und die Beseitigung ihrer Lebensgrundlagen, der Verlust an Biodiversität, der zerstörerische Konsumzwang einer wachsenden globalen Mittelklasse und letztlich die damit einhergehende Norm dessen, was gesellschaftlicher Reichtum bedeutet. Der »Kannibalismus« ökonomischer Entwicklung gehe stets zu Ungunsten der Schwächsten, in deren Namen er zugleich agiert, argumentiert Sachs (ebd.: x). Schließlich ist die systemische Kehrseite der Idee von modernisierender Entwicklung die Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft und ökologischer Ressourcen. In diesem Sinne wirkt der Ruf nach Gerechtigkeit für aufstrebende Industrienationen in Form von kapitalistischer Entwicklung paradox, wenn man davon ausgeht, dass sich dieser Lebensstil nicht egalitär und nachhaltig gestalten lässt und bestehende Abhängigkeit in einer transnationalisierten Ökonomie weiter fortschreibt. Sachs stellt durch diese Beobachtungen die Korrelation zwischen Gerechtigkeit und Entwicklung in ihren Grundfesten infrage. Daran anschließend ließe sich fragen, wie sich überhaupt sinnvoll aus einer gerechtigkeitstheoretischen Perspektive über Entwicklungszusammenarbeit nachdenken lässt. Die aktuelle Entwicklungspolitik basiert auf einer langwierigen Geschichte der Ungerechtigkeiten zwischen den Industrienationen, den Entwicklungs- und den Transformationsländern; einer Geschichte der Sklaverei, des Kolonialismus und der wirtschaftlichen und politischen Apartheid. Von dieser Annahme geht die Debatte über »Entwicklung« innerhalb postkolonialer Theoriebildung aus und liefert einige radikale Impulse, das Denken der Entwicklung kritisch zu hinterfragen (Biccum 2010; Eriksson Baaz 2005; Kapoor 2008; McEwan 2009). Jedoch fehlt diesen Schriften eine moralphilosophische Selbstreflexion bezüglich der Grundlagen ihrer Kritikpunkte an der aktuellen Entwicklungspolitik und dem Diskurs über Entwicklung. Eine solche Selbstbefragung könnte jedoch eine konstruktive Gegenfolie zu den aktuellen Praktiken im Sinne einer solidarischen Politik liefern. Begreifen wir den Bereich der Entwicklungszusammenarbeit als eine normative Ordnung, so lassen sich verschiedene konkurrierende Rechtfertigungsnarrative darin identifizieren: Zum einen setzt sich aus der Sicht der »Empfänger« im Entwicklungsdiskurs ein Narrativ der Zivilisationsmission fort, das sich in die Zeit des Kolonialismus und der ersten Entwicklungsprogramme in den Kolonien zurückführen lässt. Dieses Narrativ transformierte sich nach dem Zweiten Weltkrieg in einen Diskurs des transitiven Entwickelns der Anderen und diente der Selbstlegitimation der Gebernationen. Zugleich ist die Entwicklungszusammenarbeit mit einem Diskurs über globale Gerechtigkeit verwoben, der für Umverteilung, gleiche Teilhabe an einer globalen Öffentlichkeit und Lebenschancen eintritt und aus morali…