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Als Cooper O'Connor, Sohn eines bekannten Wanderpredigers, seinen Vater mit 18 Jahren Hals über Kopf verlässt, träumt er von einer Musikerkarriere im fernen Nashville. Im Gepäck hat er eine Gitarre und die Überzeugung, dass er es mit seinem außergewöhnlichen Talent schon schaffen wird. Aber die Rechnung geht nicht auf. Erst als Cooper die Musikerin Daley Cross kennenlernt, ein Stimmwunder auf der Suche nach guten Songs, scheint sich sein Blatt endlich zu wenden. Doch er wird das Opfer einer Tragödie, die nicht nur seine Karriere, sondern auch sein Leben zerstört. Nun gibt es für ihn nur noch einen Zufluchtsort: die väterliche Hütte hoch oben in den Bergen von Colorado. Aber auch dort ist nichts mehr, wie es einst war. Als Daley zwanzig Jahre später plötzlich wieder in sein Leben tritt, wird es für Cooper höchste Zeit, sich seiner Vergangenheit zu stellen.
Autorentext
Charles Martin studierte Englisch und Journalistik und hat einen Doktortitel in Kommunikationswissenschaften. 1999 gab er seinen Beruf auf, um sich ganz dem Schreiben zu widmen. Der von der Presse gefeierte, preisgekrönte Autor lebt mit seiner Frau Christy und drei Söhnen in Jacksonville, Florida.
Leseprobe
Kapitel 1 Ich hatte ihn schon öfter gesehen. Er war mindestens fünfundsiebzig. Vielleicht achtzig. Knorrige Finger mit geschwollenen Gelenken. Eine Stimme wie ein Reibeisen. Weiße Haare mit gelblichen Spitzen. Die schwarze Haut voller Falten. Verlebtes Äußeres. Er trug eine abgewetzte, blau-grau gestreifte Wollhose, die einst Teil eines Anzugs gewesen sein musste, und ein fleckiges, bis oben zugeknöpftes weißes Hemd. Seinen Aufzug vervollständigten zweifarbige Budapester. Das Weiß war längst rissig und matt, aber das, was vom schwarzen Leder noch übrig war, hatte er auf Hochglanz poliert. Seine Gitarre war genauso ramponiert wie er. Es war eine alte Gibson J-45. Sowohl über als auch unter dem Schallloch hatte das Schlagen Löcher hinterlassen und die Beleistung lugte hervor. Panzertape hinten und an den Seiten schien den Steg zusammenzuhalten. Die Wirbel hatten unterschiedliche Farben und sogar von Ferne sahen die Saiten rostig aus. Aber wenn der alte Mann loslegte, kam Leben in ihn und die Gitarre. Den Rhythmus der Schlaghand klopfte er mit dem Fuß mit und fügte so einen Beat hinzu. Es schien, als hätte er früher auch Schlagzeug gespielt. Das Lächeln auf seinem Gesicht zeugte von Erinnerungen an das, was er einst gewesen war. Oder was er glaubte, noch zu sein. Ich bin kein wählerischer Typ, außer bei Gitarren. Die sechs Saiten sind meine Leidenschaft. Ein polyfones Klangerlebnis, bei dem jede Saite ihre eigene Stimme hat. Ich bin immer wieder fasziniert davon, dass man unterschiedlich geformte Holzteile zu einer Sanduhrform zusammenleimen kann, Leisten, Steg und phosphorbronzene Saiten hinzufügt und nur ein wenig Druck an der richtigen Stelle ausüben muss, um eine Stimme zu erwecken. Das Ganze ist nicht nur exponentiell größer als die Summe seiner Teile, sondern trägt auch noch die unverkennbare Handschrift dessen, der das Instrument spielt. Tief, kehlig, knallig, mit rotzigem Bass, gedämpfter mittlerer Lage und brillanten Höhen ... Ich könnte jede Spielart begründen. Die Gitarre des Alten hatte ihre Stimme verloren. Sie war fertig. Genau wie er. Vermutlich hatte er mehr Songs vergessen, als die meisten Menschen je lernen würden. Aber seine Finger nicht. Die normalen Passanten sahen in ihm wahrscheinlich einen herumgammelnden Säufer, doch ich spürte die Reste eines musikalischen Genies. Irgendwann in der Vergangenheit hatte dieser Kerl einen richtigen Namen gehabt. In den vergangenen Wochen hatte er sich immer samstags ein Plätzchen auf einer Bank an der Hauptstraße von Leadville gesucht und gespielt, bis der Boden des Gitarrenkoffers mit Dollarnoten bedeckt war. Dann hatte er ihn zugeklappt und war bis Donnerstag in irgendeiner Flasche verschwunden. Am Freitag kam er wieder hervorgekrochen und war durstig. Ausgedörrt. Genau wie jetzt. Ich fuhr rechts ran und suchte mir einen Parkplatz. Auf dem Bürgersteig war einiges los. Heute würde er einen guten Schnitt machen. Ich parkte ein, steckte mir das Notizbuch hinten in den Gürtel, nahm einen Schluck von meinem Säureblocker, warf zusätzlich noch zwei Kautabletten ein und schnappte mir meine Gitarre. Ich hörte ihn schon von Weitem. Er saß auf der Bank gegenüber einer beliebten Bikerkneipe. Leadville ist ein Treffpunkt für alle Wochenend-Partyhelden. Angegraute Männer sitzen auf teuren, verchromten Maschinen mit wenig Kilometern auf dem Tacho und ohne Schalldämpfer und stellen ihre aufgebrezelten, silikonbestückten, gestrafften Püppchen zur Schau. Leadville ist eine alte Bergarbeiterstadt und mit über dreitausend Metern überm Meeresspiegel eine der am höchsten gelegenen Städte der Vereinigten Staaten. Einst war sie ein ergiebiger Silberlieferant; heute ist der Ort nur noch ein Schatten seines früheren Selbst. Die Einwohnerzahl richtet sich ganz nach der Jahreszeit. Im Sommer ist die Stadt ein beliebtes Ziel für Leute auf zwei Rädern, sowohl motorisiert als auch nicht. Hier findet der Leadville 100 statt, ein strapaziöses Ganztagsrennen für Mountainbikes. Hier gibt es High Mountain Pies die vielleicht beste Pizzeria in den ganzen Rocky Mountains und hier gibt es Melanzana, eine kleine Firma, die die besten Fleecejacken und -pullover der ganzen Welt herstellt, direkt in ihrem Geschäft an der Main Street. Ein Mellie gehört zur Standardausrüstung eines jeden Einwohners von Colorado. Sieht man jemand damit herumlaufen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass man einen Einheimischen vor sich hat. Oder einen Möchtegern. Der alte Mann saß gegenüber der Kneipe, sodass seine Musik bis in die Bar zu hören war. Clever. Sein Platz war erste Wahl, aber er hatte ein doppeltes Problem. Das erste war der Geruch. Er hatte sicher seit Wochen nicht mehr geduscht, geschweige denn ein Deodorant angefasst. Vielleicht sogar seit Monaten. Das zweite Problem waren die schiefen Töne aus seinem Mund und der Gitarre. Vielleicht waren ein paar Mitleidsdollar drin, aber mehr auch nicht. Was ich jetzt vorhatte, war etwas riskant. Im Grunde war das sein Revier und ich der fremde Hund, der darin herumschnüffelte. Der Trick war, auf seinem Niveau oder besser darunter einzusteigen, damit er das Gefühl hatte, auf einem Teppich von Noten zu schweben. Ich wollte, dass er mich mochte, bevor er mich überhaupt wahrnahm. Mein Vorteil war, dass er nur an seine nächste Flasche dachte und sein peripheres Sehen ziemlich eingeschränkt sein dürfte. Mein Nachteil, dass er nur an seine nächste Flasche dachte und wahrscheinlich auf mich losgehen würde, wenn er das Gefühl hatte, ich wollte sie ihm streitig machen. Ich kannte den Song und die Tonart, und weil er die Saiten anschlug (oder regelrecht auf sie eindrosch), zupfte ich dazu. Für das Ohr war ich nur eine Ergänzung, keine Ablenkung. Nach etwa einer Minute bemerkte er mich, zögerte kurz, wandte sich ab und sang noch lauter. Mittlerweile war sein Gesang in einer ganz anderen Tonart als seine Gitarre und eigentlich hatte er keinen Grund, so zu lächeln. Er steckte offensichtlich tief in den Erinnerungen daran, wie dieser Song einst geklungen haben musste. Ich spekulierte darauf, dass er schon oft mit anderen Musikern zusammengespielt hatte und es merkte, wenn er durch die Schützenhilfe noch besser klang. Die meiste Zeit kreiste er um E-Dur, also blieb ich an der Seite sitzen und ließ mein Plektrum ein Lick als Antwort zaubern. Er zog die Mundwinkel nach unten, hob eine Augenbraue und setzte zu einer ihm offenbar sehr vertrauten Akkordfolge an. Ich zückte meinen Kapodaster und umrahmte die bluesartigen Kadenzen mit einem rhythmischen Schlagmuster, die seinem Spiel erst das richtige Timing verliehen. Ziemlich verärgert wechselte er abrupt wieder die Tonart und krakeelte die ersten Töne einer Ballade, die er sicher schon zehntausend Mal gesungen hatte. Ich klemmte den Kapo um und klimperte schmückendes Beiwerk, fügte F…