Liebe Frau Kobler, nach der Climate-Fiction «Regenschatten» (2020), Ihrem Debütwerk, folgt mit dem Krimi «Tiefes, dunkles Blau» am 27. April nun Ihr zweiter Roman. Zürich ist erneut Schauplatz, beim Genre gingen Sie jedoch in eine neue Richtung. Wie kam es dazu?
Als Kind schlich ich mich oft an das Bücherregal meiner Eltern und las heimlich alles, was es dort gab, von den klassischen Detektivgeschichten bis hin zu Jerry Cotton. Noch heute sind Kriminalromane für mich, das mag vielleicht sonderlich klingen, ein sicherer Ort. Sie können zwar aktuelle Themen beleuchten und es gibt auch Tote – doch ist der fiktionale Rahmen immer klar abgesteckt. So hat es mich dann auch sehr gereizt, mir eine eigene Welt auszudenken, unserer ähnlich, aber doch anders, in der alles zusammenkommt: die Kulinarik, gesellschaftliche Debatten, sowie urmenschlichste Triebe und Verhaltensweisen, die zu Verbrechen führen.
Die Geschichte dreht sich um den Mord an einem Arzt und Biotech-Unternehmer. Im Mittelpunkt steht die ermittelnde Seepolizistin Rosa Zambrano. Können Sie uns die Protagonistin etwas näher vorstellen?
Rosa hat ihre Mitte gefunden. Anders als andere Ermittler, die vielleicht innerlich schon erloschen sind, hat sie mit ihrer Arbeit auf dem See und in der Natur einen Anker. Doch gibt es ein Problem: Sie hat einen starken Kinderwunsch, der alles ins Wanken bringt.
Sie haben verraten, dass die «mediterrane Seite von Zürich» hervorgehoben werden soll, was auch durch den Namen Rosa Zambrano angedeutet wird – Sie selbst sind in Locarno geboren. Inwieweit ähnelt Ihnen die Protagonistin?
Wir teilen bestimmt die eine oder andere Eigenheit, Rosa und ich, mit dem Unterschied, dass sie einige meiner Sehnsüchte lebt. Sie hat einen eigenen Gemüsegarten, direkt vor der Haustüre, in einer Stadt absoluter Luxus. Ausserdem verfügt sie über die Zeit und Ausgeglichenheit, die mir im Alltag manchmal fehlen.
«Tiefes, dunkles Blau» wird als erster Fall für Rosa Zambrano beworben. Wie steht es mit den Plänen für Fall zwei?
Das zweite Buch ist tatsächlich schon in Arbeit. Es spielt im Winter, die Handlung beginnt in der Nacht des Lichterfestes und dreht sich um die Frage, wo wir zu Hause sind. Im Innern und auch im Äusseren, es geht um Stadtplanung und Verdrängung, um Rückzug und Neubeginn, um Eis und Feuer.
Vor Ihrer Karriere als Autorin haben Sie für die «Neue Zürcher Zeitung» geschrieben. Sind Sie bei der Recherche für den Krimi anders vorgegangen als bei einem journalistischen Artikel?
Mit der Crispr-Cas-Technologie hatte ich mich zuvor schon beschäftigt, insbesondere mit den ethischen Aspekten. Für mich war ziemlich bald klar, dass diese im ersten Fall von Rosa Zambrano eine wichtige Rolle spielen sollen, gerade weil es sehr epochale Fragen vom Anfang und vom Ende von allem sind, nicht nur auf der persönlichen Ebene, sondern auch die Menschheit steht da an einem Scheideweg. Dieses Spannungsfeld hat mich sehr interessiert, erst nachher habe ich gemerkt, wie viel Arbeit das ist, da ich ja kein naturwissenschaftliches Studium habe. Da kam mir die jahrelange Erfahrung als Journalistin natürlich entgegen. Insofern bin ich da nicht anders vorgegangen als zuvor, mit einem Unterschied: Es dauerte viel länger.
Wie erwähnt sind Sie ursprünglich aus Locarno, leben und arbeiten nun aber schon seit Jahren in Zürich. Was hat Sie damals in die Limmatstadt geführt und zum Bleiben verleitet?
Meine frühe Kindheit verbrachte ich im wilden Onsernonetal, in Loco, direkt neben dem Literaten-Dorf Berzona. Es gibt diese Geschichte, dass ich an einem Fest im Haus von Max Frisch als Baby so ruhig geschlafen habe, dass meine Mutter mich dort fast vergessen hätte. Später lebten wir in der Nähe von Basel, bis ich dann mit zwanzig nach Zürich kam, ursprünglich wegen der Liebe. Aber dann habe ich mich in die Stadt verliebt. Und bin geblieben.
Sie haben ein eigenes Schreibatelier im Schwarzen Garten inmitten der Zürcher Altstadt – dort entstand auch «Tiefes, dunkles Blau». Wie beeinflusst das Ambiente Ihren Schaffensprozess? Gibt es etwas, das nicht fehlen darf?
Sehr! Im Sommer wird der Hof von einer hohen Esche beschattet, die ich sehr vermissen würde, auch wenn sie schon sehr alt ist. Im Winter riecht die Luft nach knisterndem Holz und dem Rauch, der in feinen Schleiern aus den Kaminen zieht. Ich habe mir vorgestellt, wie es wäre, noch ein Leben zu haben, ein Leben in solch einem uralten Gemäuer, mitten in der Stadt. Und dennoch mit einem geschützten Garten, der einen mit der Natur verbindet und gleichzeitig auch mit der Geschichte, mit der eigenen und mit der von denen, die zuvor hier waren. Die Idee für die Krimiserie war geboren.
Wie haben Sie sich ins Schreiben verliebt?
Über das Lesen. Als Einzelkind aufgewachsen, habe ich unzählige verregnete Nachmittage alleine mit meinen Büchern verbracht und war eigentlich wo ganz anders: in den Wäldern Sibiriens, auf der Insel der Delfine oder in einem japanischen Kloster.
Wo lesen Sie am liebsten?
Als Kind konnte ich überall lesen, sogar während ich mit unserem Hund spazieren ging, in der einen Hand die Leine, in der anderen ein Buch. Mit eigenen Kindern wurde es schwieriger, sich die Zeit zum Lesen zu nehmen. Mittlerweile sind sie aber gross genug, dass ich ihnen all meine Lieblingsbücher vorlesen kann, im Moment ist das gerade «Die Brüder Löwenherz» von Astrid Lindgren. Ausserdem habe ich so eine winzige Lampe, die man zwischen die Buchseiten stecken kann. Mit der lese ich oft nachts im Bett, wenn es sonst komplett still ist und stockdunkel.
Wenn es möglich wäre, im wahrsten Sinne des Wortes in Bücher einzutauchen, welches wäre Ihre erste Destination?
Ich würde «Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer» an korallenüberwucherten Segelschiffen vorbeifahren, die Dunkelheit der Tiefsee durchdringen, Riesenkraken und fliegende Fische bestaunen und den versunkenen Kontinent Atlantis.
Haben Sie nebst dem Schreiben und Lesen eine weitere grosse Leidenschaft?
Natürlich das Kochen, es schafft eine besondere Verbindung zur jeweiligen Jahreszeit, die ihre ganz eigene Poesie innehat: geröstete Nüsse, auf dem Herd blubbernde Erdbeermarmelade, frisch geriebene Zitronenschale, Pfannkuchen, die in heisser Butter aufgehen… Der Duft mancher Gerichte weht durch die Küche wie gespeicherte Erinnerung, meine und nun auch die meiner Kinder. Das ist ein gutes Gefühl und es fühlt sich älter an, als wir selbst sind.
Was schafft es, Sie auch an den düstersten Tagen aufzumuntern?
Kerzenlicht, viel Kerzenlicht.