Liebe Frau Brand, «Blind» stand monatelang auf der Schweizer Bestsellerliste, vor Kurzem ist nun die Fortsetzung mit dem Titel «Die Patientin» erschienen. Darin kommt der blinde Nathaniel Brenner erneut einem Verbrechen auf die Spur und beginnt gemeinsam mit Reporterin Milla Nova nachzuforschen. In früheren Interviews verrieten Sie, dass Ihnen zwei Freundinnen als Inspiration für Milla dienten, wie aber kamen Sie auf den blinden Protagonisten?
Es sind fast immer wahre Begebenheiten, die mich auf Ideen bringen. Bei «Blind» war es ein Videochat mit einem blinden Mann, der mich über eine App kontaktiert und um Hilfe gebeten hatte. Während des Gesprächs stellte ich mir vor: Was würde er wohl tun, wenn ich in diesem Moment überfallen würde und er das Verbrechen hören könnte? Ich wusste sofort: Das ist der Beginn einer Geschichte. Also brauchte ich einen blinden Protagonisten. Auch bei der Schaffung von Nathaniel habe ich mich durch die Realität inspirieren lassen: Ich habe einst als TV-Reporterin den blinden Silvan portraitiert, der ein schreckliches Verbrechen überlebt hat und mit dem ich in Kontakt geblieben war. Ich habe ihn erneut besucht, um zu recherchieren, wie er als Blinder das Leben meistert. Silvan ist ein sehr beeindruckender Mensch. Er hat mir gezeigt, das Blinde manchmal mehr sehen als Sehende. Es ist einiges vom realen Silvan in den fiktiven Nathaniel eingeflossen.
Wie verändert sich die Beziehung/Dynamik zwischen Milla, Nathaniel und dem Ermittler Sandro Bandini im neuen Buch?
Milla und Nathaniel sind sich durch die Ereignisse in «Blind» als Freunde nähergekommen. Auch im neuen Fall werden sie hart auf die Probe gestellt und sie sind aufeinander angewiesen. Wären sie nicht beide mit einer gehörigen Portion Hartnäckigkeit – man könnte auch sagen: Sturheit – ausgestattet, würde ein Verbrechen womöglich für immer unentdeckt bleiben. Zwischen Milla und Sandro hingegen… hier möchte ich nicht zu viel verraten. Ich sage nur: Ihre Beziehung ist nicht einfacher geworden. Und jemand hat plötzlich wieder Schmetterlinge im Bauch.
Sie arbeiten schon seit einiger Zeit an Milla und Nathaniels dritten Fall. Dürfen wir auf einen vierten Teil hoffen?
Mein Problem ist: Ich habe eher zu viele als zu wenige Ideen. Und es tummeln sich da noch drei andere Bücher in meinem Kopf, die gerne geschrieben werden möchten. Aber Nathaniel und Milla sind mir mittlerweile sehr ans Herz gewachsen – sodass es wohl einen vierten Teil geben wird. Vielleicht gönne ich ihnen und mir aber eine kleine Pause.
Können Sie uns bereits einen kleinen Ausblick auf den nächsten Band bieten?
Im dritten Band wird die Rechtsmedizinerin Irena Jundt die Hauptrolle spielen. Was keiner ihrer Kollegen weiss: Als sie ein Kind war, war sie selbst von einem Verbrechen betroffen. Ihr Vater stirbt und sie fährt zurück in das Dorf, in dem sie aufgewachsen ist. Es wird für sie eine ungemütliche Reise in die Vergangenheit, auf der sie damit konfrontiert wird, dass sie womöglich ein Leben lang an eine falsche Wahrheit geglaubt hat und alles ganz anders gewesen sein könnte. Auch der dritte Band ist inspiriert durch wahre Geschehnisse – durch die schrecklichen Verbrechen der Achtzigerjahre, als in der Schweiz mehrere Kinder verschwanden, die zum Teil bis heute vermisst sind.
Seit Sie den Buchvertrag für «Blind» abgeschlossen haben, reisen Sie in der ganzen Welt umher und leben als Nomadin ohne festen Wohnsitz. Worin besteht für Sie die grösste Herausforderung an der neuen Lebensweise?
Die grösste Herausforderung ist, mich zu entscheiden, wo ich am liebsten Schreiben möchte – es gibt so viele wunderbare Orte auf der Welt! Eine eigene Wohnung vermisse ich nicht – aber manchmal ist es schwierig, Kontakt zu den Freunden zu halten, nicht da zu sein, wenn jemand Beistand bräuchte. Doch dank den heutigen Kommunikationsmitteln ist man eigentlich nie richtig weg, man kann sich auch nahe sein, wenn Distanzen dazwischen liegen. Im Moment geniesse ich mein Nomadinnendasein sehr, es macht mein Leben reich und ich fühle mich sehr frei.
Inzwischen haben Sie schon nahezu den ganzen Globus bereist. Welche Länder oder Städte würden Sie als Schauplatz für einen zukünftigen Roman reizen?
Ich würde sehr gerne einen Roman schreiben, der in Stone Town auf der Insel Sansibar spielt, die wie eine länglich verformte Perle vor der ostafrikanischen Küste liegt. Dort habe ich ein zweites Zuhause gefunden. Diese historische Stadt mit ihren engen Gassen ist voller unglaublicher Geschichten. Es wäre eine Schande, sich nicht von ihnen inspirieren zu lassen! Ein Roman, der in Sansibar spielt, müsste nicht unbedingt ein Krimi sein – aber wer weiss, ich könnte auch Milla nach Sansibar auf Recherche schicken...