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Berlin, Spätsommer 1935. In der Familie Rath geht jeder seiner Wege. Pflegesohn Fritz marschiert mit der HJ zum Nürnberger Reichsparteitag, Charly schlägt sich als Anwaltsgehilfin und Privatdetektivin durch, während sich Gereon Rath, mittlerweile zum Oberkommissar befördert, mit den Todesfällen befassen muss, die sonst niemand haben will. Ein tödlicher Verkehrsunfall weckt seinen Jagdinstinkt, obwohl seine Vorgesetzten ihm den Fall entziehen und ihn in eine andere Abteilung versetzen. Es geht um Hermann Göring, der erpresst werden soll, um geheime Akten, Morphium und schmutzige Politik. Und um Charlys Lebenstrauma, den Tod ihres Vaters. Und um den Mann, mit dem Rath nie wieder etwas zu tun haben wollte: den Unterweltkönig Johann Marlow.
Volker Kutscher, geboren 1962, arbeitete als Tageszeitungsredakteur und Drehbuchautor, bevor er seinen ersten Kriminalroman schrieb. Mit 'Der nasse Fisch' (2007) gelang ihm ein Bestseller, dem fünf weitere folgten. Die Reihe ist die Vorlage für 'Babylon Berlin', deren erste zwei Staffeln 2017 auf Sky anliefen und im Oktober 2018 in der ARD zu sehen sind. Seine von Kat Menschik illustrierte Erzählung 'Moabit' wurde im Oktober 2017 ein weiterer Bestseller.
Autorentext
Volker Kutscher, geboren 1962, arbeitete als Tageszeitungsredakteur und Drehbuchautor, bevor er seinen ersten Kriminalroman schrieb. Mit "Der nasse Fisch" (2007) gelang ihm ein Bestseller, dem fünf weitere folgten. Die Reihe ist die Vorlage für "Babylon Berlin", deren erste zwei Staffeln 2017 auf Sky anliefen und im Oktober 2018 in der ARD zu sehen sind. Seine von Kat Menschik illustrierte Erzählung "Moabit" wurde im Oktober 2017 ein weiterer Bestseller.
Leseprobe
Eine andere Geschichte
Marlow, Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin
Sonntag, 28. Juli 1918
Das Gut liegt nicht allzu weit außerhalb der Stadt. Außerhalb von Marlow, einem kleinen, verschlafenen Nest im Mecklenburgischen, das sich nur deshalb Stadt nennen darf, weil es vor Hunderten von Jahren, aus Gründen, an die sich niemand mehr erinnert, irgendwann einmal die Stadtrechte erhalten hat. Das Meer ist nicht weit, doch die meisten Marlower haben es nie gesehen, die wenigsten sind überhaupt je aus ihrem Städtchen hinausgekommen. Bis der Krieg die jungen Männer in alle Himmelsrichtungen getrieben hat. Doch auch von den Soldaten, die Marlow dem Weltkrieg geopfert hat, haben nur die wenigsten das Meer sehen dürfen, der Großteil ist in Eisenbahnwaggons zur Front gekarrt worden, direkt in den Schlamm der Schützengräben, in dem die allermeisten dann auch verreckt sind.
So gesehen hast du Glück gehabt: Obwohl in Marlow geboren, bist du herausgekommen, hast einen großen Teil deiner Jugend am anderen Ende der Welt verbracht, die Zeit danach in der Schweiz, im Internat, und an der Universität. Dann kam der Krieg, auch für dich, doch du hast ihn überlebt, bislang, obwohl an der Ostfront, wohin es dich verschlagen hat, genauso gestorben wird wie an der Westfront.
Und nun hat ausgerechnet der Krieg dich wieder zurückgebracht; deine Sanitätskompanie ist von der Front ins Reservelazarett Pasewalk verlegt worden. Nicht Mecklenburg, sondern Pommern, aber nah genug, dass die Gerüchte dich erreichen konnten. Von der chinesischen Hure in Marlow und ihrem Bastard. Und dass Gott sie in seiner Gerechtigkeit gestraft habe mit einer schlimmen Krankheit.
Schon als du die Geschichte das erste Mal hörtest, hat sie dich elektrisiert, und als du dann nachgefragt hast, jedoch nichts Genaueres in Erfahrung bringen konntest, wusstest du, dass du hinfahren musst. Nach Marlow. Nach Altendorf.
Es ist bereits dunkel, als du das Gut erreichst. Du parkst vor dem Haupthaus und steigst aus dem Automobil. Während du wartest, dass jemand auf dein Klopfen reagiert, lässt du deinen Blick über den Hof wandern, der dir in den ersten Jahren deines Lebens so etwas wie Heimat gewesen ist und den du eigentlich niemals wiedersehen wolltest. So wenig wie du das Land hinter der Küste wiedersehen wolltest. Das Schicksal hält sich nicht immer an solche Pläne. Und der Krieg noch weniger.
Du hörst Schritte, und dann steht der alte Engelke in der Tür, eine Laterne in der Hand, und blinzelt den späten Besucher an. Engelke, der einzige, der Gut Altendorf immer treu geblieben ist, auch in den Jahren, als der Gutsherr in Tsingtau weilte, im Schutzgebiet Kiautschou.
Die Miene des Alten ist unergründlich, nur ein leichtes Zucken der Augenbrauen verrät dir, dass er dich erkannt haben muss, doch ob diese Regung Erschrecken ausdrückt, ob sie Überraschung zeigt oder etwas völlig anderes, vermagst du nicht zu sagen.
Für einen Moment glaubst du, Engelke werde die Tür sofort wieder zuschlagen. Dann aber macht der Alte den Mund auf.
»Der junge Herr! Welche Überraschung! Ich wusste gar nicht, dass Sie ...«
»Ist sie hier?«
»Wie meinen?«
»Sie ist hier, nicht wahr? Er hat sie aus Tsingtau mitgebracht! Ich weiß es.«
»Sie sollten mit Ihrem Herrn Vater reden, junger Herr, ich werde ...«
Du drängst dich an dem Alten, der vergeblich versucht, dich aufzuhalten, vorbei in die Halle.
»Sag mir, wo sie ist, Engelke! Bring mich zu ihr!«
»Nicht hier, Herr, nicht hier.«
Engelke zerrt dich am Ärmel wieder aus der Halle, ihr verlasst das Haus. Vor der Tür deutet der Diener mit seiner Laterne quer über den Hof, als wäre es ihm peinlich.
Nicht zu glauben. Vater hat sie mit nach Deutschland genommen, doch er lässt sie nicht im Herrenhaus wohnen. Nicht einmal jetzt, wo sie krank ist. Du nimmst dem Alten die La