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Chicago / Wüste Sinai, 1892: Rebecca und Flora Hawes sind Schwestern, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Während Rebecca von einem unstillbaren Wissensdurst getrieben wird, ist Flora von dem Wunsch beseelt, die Not der Armen zu lindern. Doch eines verbindet sie: Ihre Leidenschaft fürs Reisen. Amerika, Europa, den Orient unzählige Orte haben sie bereits gemeinsam bereist. Doch noch nie standen sie vor so großen Herausforderungen wie bei ihrer aktuellen Reise. Die Wüste Sinai verlangt ihnen alles ab. Trotzdem ist Aufgeben keine Option. Denn sie sind einer verschollenen Schriftrolle auf der Spur, die ein für alle Mal beweisen könnte, dass die Bibel wahr ist. Und mit der Rebecca den Mann ihres Herzens endlich für sich gewinnen könnte.
Autorentext
Lynn Austin ist verheiratet, hat drei erwachsene Kinder und lebt in Holland, Michigan. Ihre zahlreichen Romane sind allesamt Bestseller und mit unzähligen Preisen ausgezeichnet worden. In Deutschland gilt sie als die beliebteste christliche Romanautorin.
Leseprobe
Kapitel 1 Die Wüste Sinai 1890 Rebecca Hawes lag wach in ihrem Zelt, überzeugt davon, dass der heulende Wind gleich ihr ganzes Lager in die Luft wirbeln und bis zum anderen Ende der Wüste schleudern würde. Vor dem Eingang ihres Zeltes erstreckte sich die Einöde der Sinaihalbinsel Tausende Kilometer weit, von ihrer Heimat Chicago eine ganze Welt entfernt. Der Sand prasselte auf die Plane; der dicke Stoff flatterte im Wind, als wollte er abheben. In der Dunkelheit blickte Rebecca sich mit großen Augen um. Sie sah nichts. Der Sandsturm löschte jeden Strahl von Sternenlicht oder Mondschein aus, sodass die Finsternis geradezu biblisch wirkte wie eine der Plagen, mit denen Gott die Ägypter bestraft hatte eine Finsternis, die man fühlen konnte. Sie hatte gedacht, mit ihren fünfundvierzig Jahren würde sie noch mindestens zwanzig Jahre leben, aber dieser Sturm könnte ihr Ende sein. Schade. Sie hatte gehofft, noch so viel zu erreichen. Sie dachte an das luxuriöse Hotelzimmer, das sie vor zwei Tagen in Kairo zurückgelassen hatte, und verstand jetzt, warum die Israeliten nach Ägypten hatten zurückkehren wollen, nachdem sie in der Wüste ihre Zelte aufgeschlagen hatten, auch wenn das bedeutete, versklavt zu sein. Mose hatte sie zum Berg Sinai geführt, damit sie dort Gott anbeteten, und sie war auf dem Weg zum Katharinenkloster, das an derselben Stelle errichtet worden war. Die jahrhundertealte Geschichte, die diesen mystischen Ort prägte, faszinierte sie. Man stelle es sich nur vor Kaiser Justinian hatte die Kirche der Heiligen Katharina im Jahr 557 erbauen lassen! Rebecca hoffte, sie würde die Nacht überleben, um diese Kirche zu sehen. Ein merkwürdig hämmerndes Geräusch erregte Rebeccas Aufmerksamkeit, ein Stakkatorhythmus, der sich zu dem tosenden Wind und der im Sturm flatternden Zeltplane gesellte. Als sie das Geräusch erkannte, war es beruhigend die beduinischen Führer der Karawane befestigten die Heringe, die sich im Sturm gelöst hatten. Vielleicht würde sie doch nicht weggeweht werden. Wie die Männer in dieser völligen Dunkelheit überhaupt etwas sehen konnten, war ihr ein Rätsel. Sie hörte, wie sie mit ihren Kamelen sprachen. Die Tiere zischten und knurrten als Erwiderung. Scheußliche Biester! Dann kam ihr ein neuer Gedanke: Was, wenn der Sand sich um ihr Zelt anhäufte und dabei sie, die Ausrüstung, die Führer und sogar die Kamele unter sich begrub? Mit einer Handbewegung wischte sie diesen Gedanken beiseite. Es gab weitaus schlimmere Arten zu sterben. Becky? Bist du wach?, flüsterte ihre jüngere Schwester Flora. Sie lag auf einem Feldbett keinen Meter entfernt und doch war sie in der Dunkelheit unsichtbar. Ja, ich bin hier. Rebecca streckte die Hand nach dem Klang von Floras Stimme aus und fand ihren Arm, den sie beruhigend tätschelte. Das ist ein richtiges Abenteuer, nicht wahr?, fragte Flora. Rebecca hörte das unterdrückte Lachen in Floras Stimme und grinste. Ja, ich glaube, die Bezeichnung ist ziemlich zutreffend. Sie lachte laut auf und vergrub dann das Gesicht in ihrer Decke, um das Geräusch zu dämpfen. Sie konnte hören, dass Flora es ebenso machte. Es war, als wären sie wieder Schulmädchen, die im dunklen Schlafsaal tuschelten, und nicht zwei Schwestern mittleren Alters. Wenn unsere Quäkerfreunde uns jetzt sehen könnten , prustete Flora. Sie würden uns in die Irrenanstalt stecken! Ich finde, Thomas Cook sollte Sinai-Reisen mit Beduinenkarawane in sein vornehmes Programm aufnehmen, schlug Flora vor. Meinst du nicht auch? Bei dem Gedanken musste Rebecca wieder laut lachen, doch auch diesmal dämpfte sie das Geräusch ganz schnell. Schhh sonst wecken wir Kate auf, flüsterte Flora. Ich bin schon wach, Miss Flora. Kate klang verärgert. Oh, tut mir leid, meine Liebe. Aber wenn ich daran denke, wo wir sind und wie absurd dieser Sturm ist Genau. Sollten wir nicht lieber Besuche machen oder Spenden für eine deiner Wohltätigkeitsorganisationen sammeln?, fragte Rebecca mit ihrer vornehmsten Stimme. Wieder brachen Flora und sie in Gelächter aus. Wir reißen uns besser zusammen, sagte Rebecca schließlich, sonst streckt Petersen noch seinen Kopf durch den Zelteingang und blickt uns streng an, weil er denkt, wir wären hysterisch geworden. Der Junge ist seit zwei Jahren unser Butler, Becky. Er weiß genau, wie hysterisch wir sind. Weißt du noch, als er das erste Mal gesehen hat, wie wir in unserer Unterwäsche im Garten Freiübungen gemacht haben? Ihre Worte brachten sie wieder zum Lachen und Rebecca fuhr sich mit der Hand über die Augen. Sie fühlte eine feine Schicht Sandkörner und schmeckte sie auch auf den Lippen. Der Wind presste den feinen Sand durch jede Ritze, Naht und Öffnung. Hoffentlich nahm ihre fotografische Ausrüstung keinen Schaden. Verzeih, Kate, Liebes. Wir beruhigen uns jetzt wieder, versprochen. Schlaf ruhig weiter. Wie soll ich denn schlafen, wenn ich gleich fortgeweht werde?, murrte Kate. In der Dunkelheit konnte Rebecca ihre sogenannte Zofe nicht sehen, aber sie konnte sich das griesgrämige Stirnrunzeln auf Kates Gesicht vorstellen, ebenso wie ihre steife Haltung und die verschränkten Arme. Es war Floras Idee gewesen, aus dem diebischen achtzehnjährigen Gassenkind ihre Zofe zu machen. Allmählich glaubte Rebecca, dass es leichter wäre, Stroh zu Gold zu spinnen. Meinst du, wir könnten bis zum Morgen lebendig begraben sein?, fragte Flora. Denk doch mal an Nimrods Palast, der ganz und gar von Sand bedeckt war, sodass die Araber nicht einmal wussten, dass er dort war, bis Henry Layard ihn ausgegraben hat. Rebecca lächelte. Dieser Gedanke ist mir auch schon gekommen. Vielleicht wird in tausend Jahren ein Archäologe kommen und uns finden und sich fragen, was in aller Welt diese verrückten Schwestern vorhatten. Ach erinnere mich noch mal daran, warum wir das hier machen, sagte Flora. Rebecca hörte das Lächeln in der Stimme ihrer Schwester und war froh darüber, dass sie zusammen waren. Seit ihrer Kindheit liebten sie exotische Reisen: durch die labyrinthartigen Straßen von Paris streifen, die Basare und dunklen Gassen von Kairo und Jerusalem erkunden oder in einer Dahabeya auf dem Nil fahren, um die Pyramiden zu sehen. Ich glaube, wir sind hergekommen, um ein Abenteuer zu erleben, weißt du noch?, erwiderte Rebecca. Aber das war nicht der einzige Grund. In der Mitte ihres Lebens hatte Rebecca sich verliebt. Professor Timothy Dyk war intelligent, gelehrt, warmherzig, gesellig und liebte sie auch. Sie passten so gut zueinander, dass es Rebecca vorkam, als wäre sie aus seiner Rippe geformt worden. Aber sie konnte Timothys Heiratsantrag nicht annehmen jedenfalls noch nicht. Vielleicht würde sie es niemals können. Diese Reise zum Katharinenkloster war ihr letzter Ausweg, und wenn er scheiterte, hatte sie keine andere Wahl, als eine alte Jungfer zu bleiben. Rebecca würde Sandstürme und Wüstengefahren und noch viel, viel mehr ertragen, wenn sie damit die Mauer zwischen ihnen endlich zum Einsturz bringen konnte. Und dann war da noch i…