CHF25.00
Download steht sofort bereit
Über Liturgie - als rituelles Handeln des Glaubens - wurde zu allen Zeiten des Christentums aus theologischen oder kulturellen Gründen diskutiert. Und das ist auch heute so: Veränderte Perspektiven auf die lange Geschichte der christlichen Liturgie fördern neue Erkenntnisse zutage; besondere Gottesdienstformen werden aus biographischen oder gesellschaftlichen Anlässen heraus entwickelt; themen- oder zielgruppenorientierte Formate gewinnen an Popularität. Das Kompendium zeichnet die historische Entwicklung der Liturgie nach und erörtert, welche Bedeutung die empirischen Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte für die Liturgieforschung haben. Gegenwärtige liturgische Entwicklungen und Fragestellungen werden aufgezeigt. Das Selbstverständnis der Liturgik und Liturgiewissenschaft wird entfaltet im Blick auf ihre Beziehung zur Praktischen und zur Systematischen Theologie sowie zu den kultur- und gesellschaftswissenschaftlichen Bezugswissenschaften wie Kommunikationswissenschaft, Semiotik, Rezeptions- und Ritualwissenschaft.
Prof. Dr. theol. Jörg Neijenhuis ist außerplanmäßiger Professor für Praktische Theologie an der Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg und Schulleiter der Evangelischen Fachschule für Sozialpädagogik Lahr.
Autorentext
Prof. Dr. theol. Jörg Neijenhuis ist außerplanmäßiger Professor für Praktische Theologie an der Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg und Schulleiter der Evangelischen Fachschule für Sozialpädagogik Lahr.
Leseprobe
Die Feier der Liturgie bzw. die Gottesdienstfeier ist für die Feiernden eine Handlung des Glaubens. Die Glaubenden feiern mittels der gottesdienstlichen Elemente (z. B. Gebete und Lieder, Schriftlesungen und Predigt, Glaubensbekenntnis und Sakramente). Gott und Mensch begegnen sich, was unterschiedlich beschrieben werden kann: als Kommunikation (des Evangeliums), als Verkündigung des Wortes Gottes oder mit Luther: durch Wort und Gebet. Friedrich D. E. Schleiermacher hat den Gottesdienst als die »darstellende Mittheilung und mittheilende Darstellung des gemeinsamen christlichen Sinnes« definiert (Schleiermacher 1850, 145). Diese Definition aufnehmend beschreibt Peter Cornehl die Liturgie als sinnstiftende Orientierung, sinngestaltende Expression und sinnvergewissernde wie sinnerneuernde Affirmation (Cornehl 1979). Karl-Heinrich Bieritz hält fest, dass das gesamte kirchliche Handeln mit Zeugnis (mi ), Dienst (d ni ), Feier ( Gamma ) und Gemeinschaft ( ni ni ) beschrieben wird, so dass mit der Feier eine gottesdienstliche Kultur in den Blick kommt, die »Ausdruck der darstellend-symbolischen Dimension kirchlich-religiösen Handelns« ist (Bieritz 2004, 7f). Rainer Volp hat seiner Liturgik gleich den Titel gegeben, der zugleich die Liturgie als Handlung in den Blick nimmt: Liturgie ist die Kunst, Gott zu feiern (Volp 1992/1994). Michael Meyer-Blanck berücksichtigt ausdrücklich die Öffentlichkeit des Gottesdienstes, so dass Liturgie »öffentlicher Gebetsdienst der Kirche« ist (Meyer-Blanck 2011, 7). Unter dem Gesichtspunkt, dass Liturgie mit dem Anspruch von Wahrheit gefeiert wird, habe ich formuliert: »Anhand der Feier des Glaubens, die Liturgie genannt wird, kann gezeigt werden, wie die Glaubenden an Gott glauben, sein Wirken erwarten, was sie glauben und wie sie sich als Kirche verstehen.« (Neijenhuis 2017, 25).
Für die römisch-katholische Kirche hielt Romano Guardini 1921 fest, dass Liturgie eine Kultausübung der »lebendige[n], opfernde[n], betende[n], die Gnadengeheimnisse vollziehende[n] Kirche« ist (Guardini 1921, 104). Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) hat von diesem statischen Modell - die Kirche im Gegenüber zu Gott - Abstand genommen und die Liturgie in ihrer Geschichtlichkeit in den Vordergrund gerückt, weil die Kirche niemals aufgehört hat, das »Pascha-Mysterium« seit Christi Tod und Auferstehung zu feiern. Sie versteht die Liturgiefeier als Fortführung des Heilswerkes Christi (SC 6f).
Der Gottesdienst bzw. die gefeierte Liturgie wird in beiden Kirchentraditionen als Mitte der Gemeinde bzw. als Mitte der Kirche gedeutet, weil sich hier die zentrale Begegnung von Gott und Mensch ereignet und Menschen, so vom Wort Gottes gestärkt, in den Alltag gehen, um nun ihr Christsein zu leben und sich im Gottesdienst des Alltags zu bewähren, z. B. durch die tätige Nächstenliebe (Mt 25). Insofern ist der Begriff Gottesdienst der umfassendere Begriff, der fast synonym mit Christsein verwendet wird: Der ritualisierte Gottesdienst am Sonntag oder andere Gottesdienste wie eine Trauung oder eine Bestattung finden ausdrücklich in der Kommunikation mit Gott statt, während der Gottesdienst des Alltags dem Nächsten dient. So wird Gott in jedem Menschen erkannt, der Hilfe bedarf und dem man begegnet. Darum könnte man mit gewissem Recht, wenn auch ungebräuchlich, für die rituelle Feier am Sonntag oder die Feier der Kasualien, Andachten etc. besser den Begriff »Liturgie« verwenden. Das findet allerdings schon deshalb wenig Anklang, weil die Predigt in der Regel nicht als zur Liturgie gehörig betrachtet wird: Die Struktur der Liturgie als Feier ist rituell, die Predigt dagegen ist rhetorisch zu verstehen. Darum bleibt der weite Begriff des Gottesdienstes für die rituelle Feier ebenso bestehen wie für das Christsein im Alltag.
Die Liturgie kann wie jedes Fest den Alltag unterbrechen. Ist