Er ist häufig und knapp zugleich: Mit jedem Atemzug gelangt er in unsere Lungen und doch begrenzte er lange Zeit das pflanzliche Wachstum und hielt so die Zahl der Menschen auf niedrigem Niveau. Es dauerte bis zum Vorabend des Ersten Weltkrieges, ehe sich die Menschheit aus der Stickstofffalle befreien konnte. Fritz Haber und Carl Bosch erfanden ein Verfahren, mit dessen Hilfe der Stickstoff der Luft gebunden werden konnte, und brachten damit den Kunstdünger in die Welt. Was als Siegeszug begann, endete Jahre spatter allerdings in einer wahren Stickstoffflut, die bis heute Gewässer umkippen lässt, den Klimawandel befeuert und in Form von Nitrat im Trinkwasser auftaucht. Der neueste Band der Stoffgeschichten gibt dem gleichermaßen unsichtbaren wie unterschätzten Stoff ein Gesicht, indem er seine Geschichte erzählt und die Umweltprobleme diskutiert, die er heute mit sich bringt.
'Professor Genie erklärt uns seine Formel' titelte stolz die Berliner Zeitung, als Gerhard Ertl im Dezember 2007 den Nobelpreis für Chemie erhielt. Dem emeritierten Direktor der Berliner Max-Planck-Gesellschaft war es gelungen, die Mechanismen des Haber-Bosch-Verfahrens zu identifizieren. Jens Soentgen leitet das Wissenschaftszentrum Umwelt (WZU) der Universität Augsburg und ist mit Armin Reller Herausgeber der Reihe Stoffgeschichten. 'N' ist der neunte Band der Reihe.
Autorentext
'Professor Genie erklärt uns seine Formel' titelte stolz die Berliner Zeitung, als Gerhard Ertl im Dezember 2007 den Nobelpreis für Chemie erhielt.Dem emeritierten Direktor der Berliner Max-Planck-Gesellschaft war es gelungen, die Mechanismen des Haber-Bosch-Verfahrens zu identifizieren.Jens Soentgen leitet das Wissenschaftszentrum Umwelt (WZU) der Universität Augsburg und ist mit Armin Reller Herausgeber der Reihe Stoffgeschichten. 'N' ist der neunte Band der Reihe.
Leseprobe
Einleitung
N ist ein bekannter Buchstabe, 96 Prozent der Deutschen kennen ihn. In den Schulbüchern wird N meist mit Nashorn bezeichnet; später beschreibt man ihn oft mit der Wendung "N wie Nordpol". Jeder hat seine eigene Lerngeschichte mit den schönen Bögen des kleinen n, die den Jungen oft schwer fallen und von den Mädchen mit Lust am Verzieren ausgeschmückt werden. Später verabschieden sich viele wieder vom Buchstaben N, weil er für handschriftliche Notizen entbehrlich scheint, und ziehen an der Stelle des kleinen n einen kühnen Strich. Für den Chemiker hat N eine besondere Bewandtnis. Hier steht der Name für Nitrogenium. Deutsch: Stickstoff. Das sind zwei seltsame Namen, beide klingen nicht sehr attraktiv. Ein Stoff, der stickt? Das hört sich nicht sehr spannend an. Was hat es mit dem Stickstoff auf sich? Viele kennen das chinesisch-asiatische Gleichnis von den fünf Blinden, die einen Elefanten untersuchen um herauszufinden, was er ist. Der Blinde, der das Bein befühlt, sagt, dass der Elefant eine Säule sei; der den Schwanz befühlt, dass ein Elefant eine Art Seil sei; der den Rüssel befühlt, dass ein Elefant Ähnlichkeit mit einem Ast habe; der das Ohr befühlt erklärt, dass ein Elefant wie ein Handfächer sein müsse; der den Bauch befühlt meint, dass ein Elefant sich wie eine Wand darstelle; der den Stoßzahn befühlt, ist sicher, dass ein Elefant eine Lanze sein müsse. Ganz Ähnliches trug sich zu, als die Elemente entdeckt wurden. Denn ein Stoff wie Stickstoff, der den Kreislauf des Lebens von innen her antreibt, steht wie ein gigantischer Elefant in der Natur. Diejenigen Chemiker, die den Stickstoff am Ende des 18. Jahrhunderts isolierten, wussten aber nichts von der enormen biologischen Bedeutung dieser "Luftart". Sie waren wie jene Blinden. So nahmen sie die erste beste Eigenschaft für das Ganze. Sie sagten: In diesem Zeug, da kann man nicht atmen, eine Maus erstickt darin, nennen wir es also Stickstoff. Oder gar azote - "leblos", wie der Stickstoff im Französischen heißt. Das ist dasselbe, als würde man den Elefanten "Seiltier" nennen, weil eben sein Schwanz an ein Seil erinnert. Der Stickstoff hat damals also einen falschen Namen bekommen oder jedenfalls einen einseitigen Namen. Dieser Name ist verwirrend: Lebensstoff wäre passender. Die Stickstoffchemie ist ähnlich variantenreich und komplex wie die Kohlenstoffchemie. Stickstoff ist der Motor allen biologischen Wachstums, und eigentlich ist er überreichlich vorhanden, denn unsere Luft besteht zu 78 Prozent aus Stickstoff. Doch diesen können wir biologisch nicht verwerten, wir atmen ihn ein und wieder aus, ohne dass irgendetwas passiert: Nur der ebenfalls in der Luft enthaltene Sauerstoff wird vom Blut aufgenommen. Dennoch ist auch der Stickstoff für das Leben unverzichtbar. Der atmosphärische Stickstoff existiert in Form von zweiatomigen Molekülen, in denen die beiden N-Atome durch die stärkste chemische Bindung zusammengehalten werden. Diese Bindung kann in der Natur nur durch sehr hohe Temperaturen ("Luftverbrennung"), durch Blitze oder durch Bakterien aufgebrochen werden. Bestimmte Bakterien sind dank eines bestimmten Enzyms, der Nitrogenase, in der Lage, Luftstickstoff chemisch zu binden und damit biologisch verfügbar zu machen. Etliche Pflanzen, wie etwa der Klee, die Luzerne oder auch die Erle, leben mit solchen Bakterien in einer nützlichen Symbiose. Diese Symbiose ist die wesentliche Quelle für das natürliche Vorkommen von reaktionsfähigem Stickstoff. Erst wenn der Luftstickstoff chemisch gebunden wird, gelangt er in den Kreislauf des Lebens. Wo Stickstoff im Boden fehlt, da entwickeln sich Pflanzen nur kümmerlich; typische Zeichen für Stickstoffmangel sind gelbe Blätter - denn auch das Blattgrün, das die Pflanzen für die Photosynthese brauchen, ist eine Stickstoffverbindung. Mistdüngung wurde und wird seit Jahrtausenden mit Erfolg betrieben,
Inhalt
1;Stickstoff - ein Elementschreibt Weltgeschichte;1
2;Stoffgeschichten - Band 9;3
3;Inhalt;7
4;Kapitel 1 - Der Stickstoff und das Leben;19
4.1;Primo Levi - Stickstoff;21
4.2;Armin Reller - Im Reich der Sinne;294.2.1;Element des Lebens;29
4.2.2;Küchengerüche;32
4.2.3;"Werkstoff" der Moderne;34
4.2.4;Zwischen Heilung und Rausch;35
4.2.5;Zwei letzte Entdeckungen zur Nacht;39
4.2.6;Fazit;40
4.3;Jens Soentgen und Josef Cyrys - Dicke Luft;41
4.3.1;Lungengift und Artenkiller;43
4.4;Achim Müller und Dieter Rehder - Biologische Stickstofffixierung: Grundlagen, Geschichte und Bedeutung;47
4.4.1;Zwei grundsätzliche Wege der Stickstofffixierung;47
4.4.2;Der natürliche Stickstoffkreislauf;48
4.4.3;Aufbau und Funktion der Nitrogenasen;50
4.4.4;Entdeckungsgeschichtliches zu den Nitrogenasen;52
4.5;Jörg Matschullat, Richard Vogt und Martin Wessels - Stickstoff ist grün - Eutrophierung auch;55
4.5.1;Was ist eigentlich Eutrophierung?;56
4.5.2;Eutrophierung der Moderne - eine kurze Bilanz;58
4.5.3;Früher war (auch nicht) alles besser - Paradebeispiel Bodensee;60
4.5.4;Sind eutrophe Seen ein menschengemachtes Phänomen?;64
4.6;Jörg Matschullat und Bianca Fiedler - Die himmlische Stickstoffmaschine;67
4.6.1;Die himmlische Stickstoffmaschine in Aktion;68
4.6.2;LNOx im Labor und in der Natur;68
4.6.3;Paddeltour auf dem Pazifik oder doch lieber nach Zentralafrika?;71
4.6.4;Die himmlische Stickstoffmaschine im Klimawandel;72
5;Kapitel 2 - Salpeter;77
5.1;Jens Soentgen - Die Bluttaufe des Salpeters: Über die vorindustrielle Herstellung einer Machtsubstanz;79
5.1.1;Der "kalte Drache" - Salpeter bei den Alchemisten;87
5.1.2;Der Salpeter in der Französischen Revolution;93
5.2;Rainer Slotta - Chilesalpeter - bis 1913 unersetzlich: Bergbau, Aufbereitung und Export;101
5.2.1;Die Natur des Chilesalpeters und seine chilenischen Lagerstätten;102
5.2.2;Entstehung und Geschichte der chilenischen Salpeterindustrie;103
5.2.3;Der Salpeterkrieg;105
5.2.4;Die weitere Geschichte und Entwicklung der Salpeterindustrie;106
5.2.5;Kunstdünger als Salpeterersatz;107
5.2.6;Bergbau und Aufbereitung des Salpeter…