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Auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2014 Alte Fabriken, ärmliche Häuser, aber auch unverhoffte Streifen von Wildnis: eine Landschaft an der Grenze zwischen Stadt und Land, bevölkert von aus ihren Ordnungen gefallenen Menschen, wie sie das wahre Leben am Rande jeder Metropole prägen. In neun Etappen eines Spaziergangs in der Gegend um den River Lea im Osten Londons verfolgt Esther Kinsky die sich überlagernden Spuren ersönlicher Geschichte und urbaner Historie dieser Flusslandschaft und nutzt die Wildnis des Marschlands als Freiraum für Erinnerung und Reflexion. Der River Lea wird zur Grenzmarkierung und zugleich zu einem Wegweiser: Erfahrung und Wahrnehmung finden an ihm eine Schranke und ein Ziel. "Am Fluss" ist ein Buch über das Sehen, über Erkenntnis durch Betrachtung, in dem Esther Kinsky die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen der Sichtbarmachung von Welt neu stellt.
Esther Kinsky, geb. 1956 in Engelskirchen, lebt in Berlin und in Battonya/Ungarn, nahe der Grenze zu Rumänien und Serbien. Schriftstellerin, Übersetzerin aus dem Polnischen, Russischen und Englischen. 2009 war sie für den Übersetzerpreis der Leipziger Buchmesse nominiert und erhielt den Paul-Celan-Preis. Zuletzt veröffentlichte sie den Roman Banatsko, der auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2011 stand, und den Essay Fremdsprechen, in dem Esther Kinsky das Verhältnis von Texten und ihren Übersetzungen reflektiert. Zudem erschienen im Herbst 2013 ihr dritter Gedichtband, Naturschutzgebiet, sowie, herausgegeben und übersetzt von Esther Kinsky, Lob der Wildnis von Henry D. Thoreau.
Autorentext
Esther Kinsky, 1956 in Engelskirchen geboren, lebt in Berlin und in Battonya/Ungarn, nahe der Grenze zu Rumänien und Serbien. Sie ist Schriftstellerin und Übersetzerin aus dem Polnischen, Russischen und Englischen (u. a. Henry D. Thoreau, Lob der Wildnis). 2009 war sie für den Übersetzerpreis der Leipziger Buchmesse nominiert und erhielt den Paul-Celan-Preis. In dem Essayband Fremdsprechen (2013) reflektiert sie das Verhältnis von Texten und ihren Übersetzungen. Seit 2010 sind drei Gedichtbände erschienen: die ungerührte schrift des jahrs (2010), Aufbruch nach Patagonien (2012) und Naturschutzgebiet (2013). 2014 veröffentlichte sie den Roman Am Fluß, der ebenso wie ihr Roman Banatsko (2011) auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis stand, und 2015 mit dem deutsch-französischen Franz-Hessel-Preis ausgezeichnet wurde.Sie bekleidet im Wintersemester 2017/2018 die August-Wilhelm-von-Schlegel-Gastprofessur Poetik der Übersetzung an der Freien Universität Berlin 2015 wurde ihr der Kranichsteiner Literaturpreis zuerkannt. Aus der Preisbegründung: »Am Fluß ist ein Roman von packender Intensität. Mit behutsamer Präzision nimmt Esther Kinsky armselige Geschäfte, schäbige Reihenhäuser, Stadtbrachen und sumpfige Treidelpfade in den Blick, entwirft die Topographie eines Londoner Vororts und stößt auf Spuren der eigenen Vergangenheit. Durch ihre bildhafte Sprache gewinnt sie den Randbezirken der Wirklichkeit, die zu Abbildern eines seelischen Zustandes werden, poetische Facetten ab. Ihre mäandrierenden Erkundungen folgen den Ausläufern des River Lea und spülen Geschichten von seltsamer Schönheit an die Oberfläche.« 2020 wurde sie mit dem Deutschen Preis für Nature Writing ausgezeichnet.
Klappentext
Auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2014
Alte Fabriken, ärmliche Häuser, aber auch unverhoffte Streifen von Wildnis: eine Landschaft an der Grenze zwischen Stadt und Land, bevölkert von aus ihren Ordnungen gefallenen Menschen, wie sie das wahre Leben am Rande jeder Metropole prägen.
In neun Etappen eines Spaziergangs in der Gegend um den River Lea im Osten Londons verfolgt Esther Kinsky die sich überlagernden Spuren ersönlicher Geschichte und urbaner Historie dieser Flusslandschaft und nutzt die Wildnis des Marschlands als Freiraum für Erinnerung und Reflexion. Der River Lea wird zur Grenzmarkierung und zugleich zu einem Wegweiser: Erfahrung und Wahrnehmung finden an ihm eine Schranke und ein Ziel.
»Am Fluss« ist ein Buch über das Sehen, über Erkenntnis durch Betrachtung, in dem Esther Kinsky die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen der Sichtbarmachung von Welt neu stellt.
Leseprobe
1
König
In der Zeit vor meiner Abreise aus London begegnete ich dem König. Ich sah ihn abends, im türkisen Dämmer. Er stand am Eingang des Parks und schaute nach Osten, dorthin, wo bereits ein tiefes dunstiges Blau aufstieg, während in seinem Rücken der Himmel leuchtete. Aus dem Schatten der Büsche am Tor kam er mit kleinen lautlosen Schritten an den Rand der Rasenfläche, über der um diese Tageszeit die vielen Raben des Parks aufgeregt kreisten.
Der König streckte die Hände aus, und die Raben sammelten sich um ihn. Manche ließen sich kurz flügelschlagend auf seinen Armen, seinen Schultern und Händen nieder, stiegen wieder auf, entfernten sich ein Stück, kamen zurück. Vielleicht wollte oder mußte jeder einzelne Vogel ihn einmal berühren. So, von den vielen Vögeln umgeben, begann er die ausgestreckten Arme in leichte Schwing- und Kreiselbewegungen zu versetzen, als wohnte in ihnen eine Erinnerung an Flügel.
Der König trug einen prächtigen Kopfputz aus starren brokatenen Tüchern mit einer federgeschmückten Spange, die den Stoff zusammenhielt. Sowohl die Goldfäden in dem Brokattuch als auch die Spange leuchteten noch im abnehmenden Licht. Er war in ein kurzes Gewand gekleidet, golddurchwirkte Borten lagen schimmernd um seinen Hals und seine Handgelenke. Das Gewand, das ihm bis zu den Oberschenkeln reichte, war blaugrün, aus einem starren, schweren, steifen Tuch mit eingewebtem Federmuster. Seine langen schwarzen Beine staken darunter hervor, sie waren nackt, die bloßen Füße, die mit ihrer Runzligkeit in seltsamem Gegensatz zu den jungenhaft dünnen sehnigen Knien und Waden standen und uralt wirkten, steckten in Sandalen mit Keilabsätzen. Der König war sehr groß, und er stand ganz gerade inmitten der Vögel, während nur die Arme schwangen und kreisten, den Hals hielt er so aufrecht und reglos, als trüge er eine ganze Welt in seinem Kopfputz. Gegen den Himmel im Westen hob sich sein Profil ab, von dem ich nur sagen könnte, daß es königlich war, mit Erhabenheit vertraut, aber auch an Verlassenheit gewöhnt. Es war ein an seiner Erhabenheit traurig gewordener König, weit fort von seinem Land, in dem man ihn verstoßen oder verschollen glauben mochte. Nichts an seiner ganzen Gestalt stand im Zusammenhang mit der Landschaft ringsum: den hohen alten Bäumen, den späten Rosen dieses milden Winters, der unerwarteten Leere des Marschlands, das sich hinter dem steil abfallenden Hang des Parks auftat, als wäre die Stadt dort unvermittelt zu Ende. Er trat in großer Einsamkeit am Rand dieses von der großen Stadt etwas vergessenen Parks als König hervor, und nur die Vögel mit ihrem verebbenden Schnarren und schwarzen Flattern waren ihm verbunden.
Der Park war um diese Zeit leer. Die frommen Frauen mit ihren Kindern, die hier nachmittags spazierten, waren längst zu Hause wie auch die Chassidenjungen, die ich mittags gelegentlich hinter einem Busch nervös und kichernd rauchen sah, ihre Schläfenlocken zitterten, wenn sie froren, und sie zogen zu hastig an ihrer reihum gereichten Zigarette, wie ich an dem langen Stück roter Glut sah, das kurz vor jedem Mund stand, während aus den Fenstern ihrer Schule jenseits der Parkhecke Stimmengewirr und Kindersingen drang und vom Wind wie Wellen hierhin und dorthin getrieben wurde. Die Rosenbüsche, mit Ausnahme derer, die in diesem frostlosen milchigweißen Winter noch gelb-rosa Blüten hervorbrachten, trugen dunkelrote Hagebutten. Um die Tageszeit, wenn der König erschien, hingen die Hagebutten schwarz im aufziehenden Dämmer.
Am Fuß des Abhangs, hint