Doktor Aira ist kein gewöhnlicher Arzt. Der verarmte, alleinstehende Mann Mitte vierzig ärgert sich über vieles. Auch der Umstand, dass er Wunder vollbringen kann, bringt ihm keine Freude. Ganz im Gegenteil: So richtig glaubt er nämlich gar nicht mehr an Wunder, ja, ein bisschen schämt er sich sogar für seine übernatürliche Gabe. Und wäre da nicht sein Erzfeind Doktor Actyn, Chefarzt für Inneres am Hospital Piñero, der nicht müde wird, Dr. Aira als Scharlatan zu beschimpfen, hätte er vielleicht gar keine Verwendung mehr dafür. Doktor Aira mag ein Meister der paranormalen Medizin sein, doch der Sprachmagier César Aira lässt den allzu menschlichen Wunderheiler in diesem magischen Buch in eine ganz gewöhnliche Falle tappen. Wird Doktor Aira es schaffen, sich gegen Actyn zu behaupten? Und wenn ja, mit welchen Mitteln? Eine wilde, satte Erzählung, die zugleich als Einleitung in das Werk César Airas dient, ja, auch als Essay über seine eigene Poetik gelesen werden kann.
César Aira, geboren 1949 in Coronel Pringles, veröffentlichte bisher über 80 Bücher: Romane, Novellen, Geschichten und Essays. Darüber hinaus übersetzt er aus dem Englischen, Französischen und Portugiesischen und lehrt an den Hochschulen von Rosario und Buenos Aires, wo er heute lebt. Aira gilt als einer der wichtigsten lateinamerikanischen Autoren der Gegenwart - und als ihr raffiniertester. Seine Texte überraschen durch Genresprünge, aberwitzige und riskante Erzählkonstruktionen und Plots. 2016 erhielt er den Premio Iberoamericano de Narrativa Manuel Rojas.
Christian Hansen, 1962 in Köln geboren, ist Übersetzer aus dem Spanischen. Zu den von ihm übersetzten Autoren zählen u. a. Roberto Bolaño, Julio Cortázar, Alan Pauls und Sergio Pitol.
Autorentext
César Aira, geboren 1949 in Coronel Pringles, veröffentlichte bisher über 80 Bücher: Romane, Novellen, Geschichten und Essays. Darüber hinaus übersetzt er aus dem Englischen, Französischen und Portugiesischen und lehrt an den Hochschulen von Rosario und Buenos Aires, wo er heute lebt. Aira gilt als einer der wichtigsten lateinamerikanischen Autoren der Gegenwart und als ihr raffiniertester. Seine Texte überraschen durch Genresprünge, aberwitzige und riskante Erzählkonstruktionen und Plots. 2016 erhielt er den Premio Iberoamericano de Narrativa Manuel Rojas.
Zusammenfassung
Doktor Aira ist kein gewohnlicher Arzt. Der verarmte, alleinstehende Mann Mitte vierzig argert sich uber vieles. Auch der Umstand, dass er Wunder vollbringen kann, bringt ihm keine Freude. Ganz im Gegenteil: So richtig glaubt er namlich gar nicht mehr an Wunder, ja, ein bisschen schamt er sich sogar fur seine ubernaturliche Gabe. Und ware da nicht sein Erzfeind Doktor Actyn, Chefarzt fur Inneres am Hospital Pinero, der nicht mude wird, Dr. Aira als Scharlatan zu beschimpfen, hatte er vielleicht gar keine Ver-wendung mehr dafur. Doktor Aira mag ein Meister der paranormalen Medizin sein, doch der Sprachmagier Cesar Aira lasst den allzu menschlichen Wunderheiler in die-sem magischen Buch in eine ganz gewohnliche Falle tappen. Wird Doktor Aira es schaffen, sich gegen Actyn zu behaupten? Und wenn ja, mit welchen Mitteln? Eine wilde, satte Erzahlung, die zugleich als Einleitung in das Werk Cesar Airas dient, ja, auch als Essay uber seine eigene Poetik gelesen werden kann.
Leseprobe
I
Eines Tages fand sich Doktor Aira bei Morgengrauen flanierend auf einer von Bäumen gesäumten Straße eines Viertels von Buenos Aires wieder. Er litt unter einer Art Somnambulismus, und es geschah nicht selten, dass er in fremden Nebenstraßen wieder zu Bewusstsein kam, die er in Wirklichkeit gut kannte, da sie allesamt gleich aussahen. Sein Leben war das eines halb zerstreuten, halb aufmerksamen (halb ab- und halb anwesenden) Spaziergängers, der sich in diesem Wechselspiel seine Kontinuität erschuf, will sagen, seinen Stil oder, mit anderen Worten und um den Kreis zu schließen, sein Leben; und das würde so bleiben, bis sein Leben endete und er stürbe. Da er schon hart auf die fünfzig zuging, konnte dieser nahe oder ferne Schluss in jedem Moment erfolgen.
Eine schöne Libanonzeder auf dem Gehweg vor einer prätentiösen kleinen Villa reckte ihre stolze runde Krone in die rosagraue Luft. Um sie zu betrachten, blieb er stehen, von Bewunderung und Zärtlichkeit durchdrungen. Er hielt ihr in pectore eine kleine Ansprache, in der sich Lobrede mit Verehrung (der Bitte um Beistand) mischte und die kurioserweise auch einige beschreibende Aspekte enthielt; ihm war nämlich bewusst geworden, dass die Verehrung mit der Zeit gern ein wenig abstrakt und automatisch ausfiel. In diesem Fall hatte er bemerkt, dass die Krone des Baums bloß und buschig zugleich war; man sah durch sie hindurch den Himmel, dabei hatte sie doch Nadeln. Als er sich auf die Zehenspitzen stellte, um einen besseren Blick auf die unteren Äste zu erhaschen (er war sehr kurzsichtig), sah er, dass die Nadeln, die an olivgrüne Flaumfedern erinnerten, halb in sich zurückgekrümmt waren; vielleicht würden sie bald abfallen; es war schon Ende Oktober, und die Bäume pfiffen auf dem letzten Loch.
»Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass die Menschheit diesen Weg noch lange weiterverfolgen kann. Unsere Spezies hat auf diesem Planeten zu einer solchen Dominanz gefunden, dass sie schon keine ernste Bedrohung mehr fürchten muss, so als bliebe uns nichts anderes zu tun übrig, als weiterzuleben und uns nach Kräften zu amüsieren, ohne dass existenziell noch etwas auf dem Spiel stünde. Und in dieser Richtung schreiten wir weiter voran, sichern das schon Gesicherte. Bei jedem Fortschritt oder Rückschritt aber, er mag noch so verhalten ausfallen, überschreiten wir unwiderruflich Schwellen, und wer weiß, welche wir schon überschritten haben oder gerade jetzt überschreiten. Überschreitungen, die die Natur zu einer Reaktion veranlassen könnten, wobei wir unter Natur das allgemeine Regelwerk des Lebens verstehen. Vielleicht ist ihr diese Frivolität, zu der wir gelangt sind, ein Dorn im Auge, vielleicht kann sie es nicht zulassen, dass eine Spezies, auch die unsere nicht, sich über ihre arteigenen Grundbedürfnisse erhebt ... Das ist meinerseits natürlich eine unzulässige Personifizierung, ich hypostasiere und externalisiere Kräfte, die in uns selbst liegen, aber ich zumindest weiß, was ich meine.«
Was für Sachen, um sie einem Baum zu sagen!
»Nicht, dass ich irgendetwas prophezeien würde, schon gar keine Katastrophen oder Plagen, nicht mal deren subtile Formen, keineswegs! Wenn meine Überlegung stimmt, spielen sich die Korrekturen innerhalb des Wohlbefindens ab, als ein Teil von ihm ... Wie, weiß ich nicht.«
Er war weitergegangen und hatte das Bäumchen schon ein ganzes Stück hinter sich gelassen. In gewissen Abständen blieb er erneut stehen und richtete einen hoch konzentrierten Blick auf irgendeinen Punkt der umliegenden Nachbarschaft. Es waren abrupte Stopps von rund einer halben Minute, die keiner Regelmäßigkeit zu folgen schienen. Nur er wusste, welchem Impuls sie gehorchten, und es war unwahrscheinlich, dass er es jemals irgendwem verraten würde. Es waren Zwangspausen der Beschämung; sie koinzidierten mit der im gewundenen V