"Aber jeden Tag soll zumindest eine Zeile gegen mich gerichtet werden wie man die Fernrohre jetzt gegen den Kometen richtet." Franz Kafka Im Spannungsfeld von Schrift und Medialität gewinnt das Schaffen Franz Kafkas eine gleichermaßen profunde wie paradoxe Dynamik: Zwischen Schreibprozess und Schriftprodukt entsteht eine Bewegung, indem bereits Bestehendes durch Bezugnahmen auf eigene wie fremde Texte und Medien immer wieder von Neuem um- und weitergeschrieben wird. Diesem Zusammenhang ist das vorliegende Buch gewidmet, das 100 Jahre nach Kafkas Tod die unverminderte Aktualität seines Werks betont. Im Fokus stehen zentrale Schlüsseltexte eines der wichtigsten Werke der Weltliteratur: von den großen Romanen über die vielfältigen Erzählungen und Kurzprosaformen aus sämtlichen Schaffensphasen bis hin zu Kafkas autobiografischem Schreiben in seinen Briefen und Tagebüchern. Unter dem Aspekt von Schrift und Medialität werden dabei sowohl Beziehungen der literarischen Texte zu anderen visuellen bzw. auditiven Medien wie Bild- und Klangelementen oder Filmen als auch die Medialität der Schrift an sich verhandelt, ergänzt etwa um die verwendeten Materialien wie Papier, Bleistift oder Federhalter und ihre Relevanz für ein existenzielles, als Lebensprojekt angelegtes Schreibprogramm.
Autorentext
Achim Küpper, Promotion 2008, Habilitation 2020, ist zurzeit Verantwortlicher des Berlin University Alliance-Moduls "Literatur und Medien im Horizont gesellschaftlicher Herausforderungen: Globalisierung, Digitalisierung, Ökologie" sowie Privatdozent für Neuere deutsche Literatur an der Freien Universität Berlin. Publikationen u. a. zur Literatur des 18. bis 21. Jahrhunderts, zur Theorie, Geschichte und Ästhetik der Medienkultur.
Inhalt
Vorbemerkungen 1 Eingang: Vor- und Torbauten vom antiken griechischen Theater bis zu Kafka 1.1 Text und Bauwerk: "Der Bau" 1.2 Zum Einstieg: "Vor dem Gesetz" (aus "Der Proceß") Himmel oder Hölle: Orte des Verstoßenseins "Vor dem Gesetz steht ein Türhüter": Der Text als Zone der Uneindeutigkeit Die attische Tragödie: Schwellenräume seit Sophokles Johann Wolfgang Goethe: "Iphigenie auf Tauris" Zwischenüberlegungen: Zum historischen Ort von Kafkas Schreiben Johann Wolfgang Goethe: "Propyläen" Heinrich von Kleist: Briefwechsel 1.3 "Der Schlag ans Hoftor" 2 Die Schrift und das Nomadische Über ortlose Reisende, unvollendete Bauwerke und verfehlte Botschaften 2.1 Problematik und Grundlagen 2.2 Die Fragmente um den "Jäger Gracchus" 2.3 "Beim Bau der chinesischen Mauer" und "Eine kaiserliche Botschaft" 2.4 "Ein altes Blatt" 3 Eis und Wüste Von Vampiren und anderen Kreaturen aus den Grenzgebieten Mit einem Ausblick auf die Nacht der Schöpfung 3.1 "Schakale und Araber", Briefwechsel 3.2 "Der Kübelreiter", "Das Schloß" 3.3 "Ein Landarzt" 3.4 Die Kreatur 3.5 Die Nacht der Schöpfung 3.6 Zerstreuung und "Betrachtung" 4 Der Klang der Schrift Zum Verhältnis von Sehen und Hören in Kafkas Texten 4.1 Visuelles und Auditives im literarischen Kontext 4.2 Klang und Klangentzug bei Kafka "Das Schloß" "Der Bau" "Großer Lärm" "Die Verwandlung" "In der Strafkolonie" "Das Schweigen der Sirenen" "Josefine, die Sängerin oder Das Volk der Mäuse" 4.3 Visuelles und Auditives in "Ein Landarzt" und "Vom jüdischen Theater" 4.4 Literarhistorischer Bezug: Eine visuell-auditive Lektüre von Heinrich von Kleists "Bettelweib von Locarno" 4.5 Akustische Textfenster: Flüchtige Blicke in eine Welt jenseits des Fixierten 4.6 Zu einer Statistik der Sinneswahrnehmungen in Kafkas "Gesammelten Werken" (digital erfasst) 5 Zirkuskünste Von akrobatischen Schreibübungen, einer Artistik in der Schwebe und sechs Variationen über die "Erziehung" 5.1 Der Zirkus als kulturelles und poetologisches Modell 5.2 Zum Zirkus bei Franz Kafka Artistische Schreibakrobatik in der Schwebe "Erstes Leid" Kafka und der Verkehr "Ein Hungerkünstler" "Auf der Galerie" Franz Kafka und Charlie Chaplin Im Zwischenraum der Medien Kulturbegegnung als Schauplatz des Entzugs 5.3 Nachrichten vom kleinen Ruinenbewohner: Sechs Variationen über die "Erziehung" 6 Vom Schreiben in die Tiefe Kafka und die Schwere der Skriptur Ein Rundgang über Brücken, Ströme und Abgründe 6.1 Die Brücke als Darstellungs- und Denkfigur 6.2 Brückenkonstruktionen in Kafkas Werk "Das Schloß" "Das Urteil" Verstreute Brückenszenen: "Kinder auf der Landstraße" Brief an Felice Bauer, "Der Verschollene" "Die Brücke" 6.3 Vom Schreiben in die Tiefe oder: Von einem Ort jenseits der Ströme 6.4 Zu einer Poetik des Übergangs 7 Kafkas Ankunft Über einen Topos in Literatur und Film von den Brüdern Lumière bis zur Gegenwart 7.1 Vom Anhalten der Bewegung und Aussetzen der Ankunft: Kafkas Tagebuch und der Ankunftsfilm der Brüder Lumière (1896) 7.2 Über das Versagen der Ankunft im Erzählwerk: Zum Beispiel "Jäger Gracchus" und "Ein Landarzt" 7.3 Die Ankunft im Roman (I): "Der Verschollene" 7.4 Die Ankunft im Roman (II): "Das Schloß" 7.5 Kafkas Ankunft in der Gegenwart: Zu einem Topos bei Christoph Ransmayr 7.6 Die Wiederkehr des Fremden 8 Ausgang: Abgebrochene Enden 8.1 Fiktionale Unabgeschlossenheit: "Ein Landarzt" und "Das Urteil" 8.2 Formale Unabgeschlossenheit: "Das Schloß" und "Beim Bau der chinesischen Mauer" 8.3 Fragmente vom stillen schwarzen Grund: Michael Hanekes Fernsehfilm "Das Schloss" (1997) 8.4 Schlusswendung Zitierte Werke Siglen und Werkausgaben Sonstige Textquellen Literatur (summarisches Verzeichnis) Abbildungsnachweise