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Schriften des Zentrums für Sozialpolitik, Bremen
Der Wohlfahrtsstaat, seit 1945 als Errungenschaft der Demokratie gefeiert, ist heute nicht mehr selbstverständlich. Wird er dem demografischen Wandel und der globalen Standortkonkurrenz standhalten können? Oder sind seine finanziellen Sicherungssysteme schon zu weit untergraben? Gegen den Trend betonen die Autoren des Bandes die Leistungsfähigkeit der Sozialpolitik im nationalen und globalen Rahmen. Sie zeigen die Grundlagen sozialpolitischen Fortschritts auf und benennen die wichtigsten Faktoren wohlfahrtsstaatlicher Entwicklung.
Vorwort
Schriften des Zentrums für Sozialpolitik, Bremen
Autorentext
Elmar Rieger ist Professor am Institut für Soziologie an der Universität Bamberg, Herbert Obinger ist Professor am Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen.
Leseprobe
Wohlfahrtsstaaten in entwickelten Demokratien: Eine Einleitung Elmar Rieger, Herbert Obinger Die sozialwissenschaftliche Forschung und Theoriebildung war schon immer mit dem Problem konfrontiert, dass ihr Stoff einem fortwährendem Wandel unterworfen ist. Wie die Beiträge in diesem Band zeigen, ist die Beschäftigung mit dem Wohlfahrtsstaat keine Ausnahme von dieser Regel. Vergleichende und historische Untersuchungen des Wohlfahrtsstaates zeigen nicht nur oft sehr unterschiedliche institutionelle Formen und - damit eng verbunden - andere Wirkungen auf Staat, Wirtschaft und Gesellschaft, sondern auch eine jeweils andere Gestalt langfristiger Entwicklungsdynamik und andere Struktur des politischen Handlungsspielraums (Rieger 1992; Pierson 1993, 1996). Mit der Veränderung wohlfahrtsstaatlicher Realitäten haben sich aber auch die Gesichtspunkte und damit die Begriffe ihrer sozialwissenschaftlichen Analyse und Interpretation verändert. Wohlfahrtsstaatliche Sachverhalte erhalten ihren Sinn durch die Gesichtspunkte, die an sie herangetragen werden. Sie tragen diese Gesichtspunkte nicht in sich (Weber 1956). Gesichtspunkte bzw. Begriffe sind allerdings immer nur Festlegungen einer "Theorie", die als solche keiner empirischen Überprüfung zugänglich sind. Je nach Zeitumstand und Problemlage sind es immer wieder andere Momente und Dimensionen des Wohlfahrtsstaates, die unter dem Druck aktueller Ereignisse und Entwicklungen in das Zentrum der Aufmerksamkeit rücken. Entsprechend verändert sich nicht nur die Theorie des Wohlfahrtsstaates, sondern auch seine Geschichtsschreibung. Gerade aber weil diese Gesichtpunkte dem sozialpolitischen Material äußerlich sind, verändert sich nicht nur der aktuelle Bezugsrahmen der Analyse, sondern es verändert sich auch die historische Wahrnehmung und die Schwerpunkte der Beschreibung wohlfahrtsstaatlicher Entwicklungen. Es ist deshalb oft schwer zu entscheiden, welche Veränderungen in der Sozialpolitik auf das Konto von Anpassungen und Korrekturen gehen, die ihrer Funktionsfähigkeit geschuldet sind, welche auf das Konto eines institutionenpolitischen Kurswechsels gehen, und welche auf das einer veränderten Wahrnehmung und Problemsicht. Dieser Punkt gilt besonders für das Verhältnis des Wohlfahrtsstaates zur Marktwirtschaft. Der Kern der historisch-vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung war die Frage nach der Entstehung und Entwicklung von Sozialpolitik im Spannungsfeld von Industrialisierung, Nationalstaatsbildung und der Ausweitung politischer Partizipation. In jeder dieser Dimensionen gesellschaftlicher Entwicklung gewannen sozialpolitische Institutionen eigenes Gewicht und eigene Bedeutung, und in jeder dieser Dimensionen wirkten sie auf die jeweilige Umwelt zurück, veränderten diese und schufen sich zunehmend selbst erzeugte Existenz- und Funktionsbedingungen. Die kulturelle Dimension der Sozialpolitik, also die Deutungsmuster sozialer Risiken und die gesellschaftlich bedingten Veränderungen des Umgangs mit ihnen, blieben vergleichsweise lange unterbelichtet (Ewald 1993). Die traditionelle Wohlfahrtsstaatsforschung konnte noch ganz selbstverständlich von der Prägekraft der industriegesellschaftlichen Entwicklung für den Verlauf und die Ausformung wohlfahrtsstaatlicher Entwicklung ausgehen (Wilensky/ Lebeaux 1958; Rimlinger 1971; Ashford 1986; Swaan 1988; Baldwin 1990). Nach diesem Grundverständnis ist der moderne Wohlfahrtstaat unmittelbar und untrennbar mit der Industriegesellschaft verbunden. Deren konstitutiven Merkmale - die Trennung von Haushalt und Betrieb, die Trennung der Produzenten von den Produktionsmitteln und, damit eng zusammenhängend, das Institut der freien Lohnarbeit - schufen neue Formen wirtschaftlicher Existenzgefährdung und sozialer Unsicherheit, auf die der Staat in Form von Sozialpolitik reagierte. Mit der Schaffung eines gleichen Bürgerrechts, in dessen Mittelpunkt das Eigentums- und Vertragsrecht steht, wurde eine Dynamik in Gang gesetzt, die in die Institutionalisierung sozialer Bürgerrechte mündete (Marshall 1992). Über die Ausdehnung der politischen Rechte auf Gruppen, die vom Wahlrecht und von parlamentarischer Repräsentation ausgeschlossen waren, wurde schließlich auch die formale Gleichheit um Elemente einer materiellen Gleichstellung in Form von rechtlich garantierten Ansprüchen auf staatliche Transfers und Dienstleistungen ergänzt. Dieses materielle Element kam deshalb ins Spiel, weil für die neuen Schichten besitzloser Lohnarbeiter mit der persönlichen Unabhängigkeit, die ihnen die bürgerlichen Freiheitsrechte brachten, eine gesteigerte wirtschaftliche Unsicherheit einherging (Wieacker 1974). Für diese Gruppen war die betrieblich verwertbare Arbeitsleistung die einzige Einkommensquelle. Rentenzahlungen bei Invalidität und im Alter, Einkommensersatz bei Krankheit und Arbeitslosigkeit, kostenloser Zugang zu den Einrichtungen des Bildungswesens und der niederen und hohen Gerichtsbarkeit wurden zu rechtsförmigen Leistungen, mittels deren eine vollständigere Mitgliedschaft in der Gesellschaft erreicht werden soll. Nationen- und Wohlfahrtstaatsbildung sind in dieser Perspektive unmittelbar miteinander verknüpft. Die geographisch-soziale Integration der Bevölkerung eines bestimmten Territoriums wird über die Ausdifferenzierung des Staatsbürgerstatus bewerkstelligt. Diese Ausdifferenzierung ist die Antwort auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der verschiedenen Gruppen einer Gesellschaft, deren soziale und politische Strukturen vom Konflikt zwischen Arbeit und Kapital geprägt werden. Die Bedeutung der Staats- und Nationenbildung für die Entstehung und Entwicklung sozialpolitischer Institutionen wurde in zwei unterschiedlichen Zusammenhängen in der Forschung thematisiert. Die erste konzentrierte sich auf die Möglichkeiten, Sozialpolitik als Mittel der Loyalitätsgewinnung und Loyalitätssteigerung einzusetzen, um auf diesem Weg dem politischen Verband Legitimität zu sichern (vor allem Bendix 1960). Eine zweite Richtung untersucht die politische Dynamik, die aus dem Zusammentreffen von industriewirtschaftlicher Transformation und der Herausbildung einer liberalen Gesellschaft resultiert (Polanyi 1944/1977). Die erste Untersuchungsrichtung ging von der These aus, politische Eliten verfolgten im Rahmen von Sozialpolitik das Ziel, gesellschaftliche Gruppen in den nationalen Verband zu integrieren und damit Loyalität gegenüber dem politischen System zu erzeugen. Paradigmatisch wurden dafür die Bismarckschen Arbeiterversicherungen. Sie waren auch von Bismarck selbst ausdrücklich dafür gedacht, die Unterstützung der Industriearbeiterschaft für Gewerkschaften und Sozialdemokratie zu untergraben und Loyalität gegenüber dem politischen System des Kaiserreichs zu erzeugen. Bismarck sprach dieses Motiv in seiner Reichstagsrede vom 18. Mai 1889 in aller wünschbaren Deutlichkeit an: "Ich habe lange genug in Frankreich gelebt um zu wissen, dass die Anhänglichkeit der meisten Franzosen an die Regierung, die gerade da ist, [...] aber doch schließlich auch die an das Land, wesentlich damit in Verbindung steht, dass die meisten Franzosen Rentenempfän…
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