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Die Grenze ist der Ort, an dem, folgt man Negri und Hardt, die moderne Souveränität siedelt. Bei Carl Schmitt bezeichnete sie jenen Abgrund, der Freund und Feind scheidet. In den 1980er und 90er Jahren wurde von der Grenze gesprochen, die der Definition des jeweils kulturell Anderen diente und die es zu unterlaufen galt. Grenzgänger und hybride Figuren wie Donna Haraways "Cyborg" waren die daraus entstandenen utopischen und zuweilen ironisch gebrochenen Gegenentwürfe. Die Grenze ist seit langem ein zentraler Begriff in der politischen, philosophischen und soziologischen Theorie. Weit über das Bildthema der geopolitischen Grenzmarkierung hinaus stehen mit dem Topos der Grenze die unterschiedlichen visuellen Strategien der Demarkation zur Debatte, wie auch die Frage, welche politischen, sozialen oder diskursiven Felder dabei umrissen und voneinander abgegrenzt werden. Grenzen sind aber auch Voraussetzung für die Erkennbarkeit eines Gegenstands. Sie ermöglichen Kenntnis von den Dingen, indem sie aus- und einschließen, determinieren sie. Sie sind Objekte permanenter Verhandlung und Überschreitung, sie besitzen einen ebenso konstruktiven wie konstruierten Charakter. Für den Bereich wissenschaftlicher Bilder verspricht die erneute Auseinandersetzung mit dem Thema der Grenze die Annäherung an eine zentrale Bildfunktion, wobei insbesondere die politische Dimension von technischen und wissenschaftlichen Bildern angesprochen wird.
Das Thema Grenzbilder führt direkt zu den politischen Aspekten visueller Darstellungen und ihrem impliziten wie expliziten Grenzregime. Kaum ein Thema wird in der aktuellen politischen, geistes- und naturwissenschaftlichen Praxis so vehement diskutiert. Statt der Eleminierung von Grenzen entwickeln sich im Zuge dieser Diskussion immer differenziertere Vorstellungen ihres konstruktiven wie konstruierten Charakters, eine Veränderung des Grenzbegriffs zeichnet sich ab. Visuelle Demarkationen und die bildgebende Dynamik der Grenze werden im vorliegenden Heft sowohl im politischen, wie auch naturwissenschaftlichen Kontext untersucht. Territoriale Grenzen in ihrer materiellen Gestaltung, ihrer metaphorischen Bedeutung und ihrem staatstheoretischen Entwurf werden in den ersten Beiträgen thematisiert, die unter der Überschrift "Stadt und Staat" zusammengefasst sind. Daran schließt unmittelbar das Thema der bildgenerierenden Funktion von Grenzen an, wie sie für die Praxis der antiken Rhetorik beschrieben wurde. Schwerpunkt des zweiten Abschnitts "Körper und Klassifikationen" sind die Beschreibungen von Grenzen bei der Erforschung und Systematisierung individueller biologischer Körper.
Zusammenfassung
"Voor liefhebbers van de culture en historische aspecten van beeldvormen en iconen een interessant en leerzaam boek." Erschienen in: Optische Fenomenen, Nr. 263, Mai 2009
Leseprobe
In der Stadt und vor Gericht. Das Auftauchen der Bilder und die Funktion der Grenze in der antiken Rhetorik (S. 42-43)
Pro ommaton, ante oculos, energeia, enargeia: Wie kommt es zum Bild?
Neue Theorien des Bildes grenzen ihr Vorhaben in vielfältiger Weise von der herkömmlichen Bildauffassung in der westlichen Tradition ab. Platons Abbilder erster und zweiter Ordnung und ihr Bezug auf die Ideen gelten danach als Stichwortgeber für die ererbte Semantik des Bildes, und zwar besonders für die Aspekte der Repräsentation (mimesis) und der Gestalthaftigkeit (eidos).1 Weniger wurde bedacht, dass die klassische antike Rhetorik bereits eine eigene, alternative Bildtradition entwickelt hat. Zwar kann die Rhetorik nicht den Anspruch erheben, Beiträge zu Repräsentation, Mimesis und Gestalthaftigkeit zu leisten. Aber sie spricht davon, wie es zu Bildern kommt:
Unter welchen Umständen, durch welche Techniken oder mit welchen Folgen Bilder auftauchen oder etwas als ein Bild erkannt wird. Für die Rhetorik ist das Bild etwas, das auf überraschende, nicht selbstverständliche Weise emergiert. Seine Emergenz vollzieht sich im Feld sprachlicher, stimmlicher und leiblicher Zeichen,2 wobei die Grenze des Feldes, in dem es erscheint, eine entscheidende Rolle für die grundlegende Bestimmung des Bildes spielt. Seit Aristoteles wird das Auftauchen des Bildes und das Anerkennen von etwas als Bild in den Ausdrücken pro ommaton vor-Augen(-stellen) und energeia erörtert und mit der Theorie der lebendigen Metapher verbunden. Die lateinische Tradition hat diese Bestimmung mit der Formel ante oculos ponere" und der Figur des vor Augen stellenden Erzählens und Schilderns, der evidentia und der hypotyposis, weitergeführt.3 Von dort aus verzweigt sich die Debatte um das Anschauliche und das Lebendige, das Lebhafte und das Bildliche in schwer überblickbarer Weise.
Bei allen antiken und modernen Versuchen, Vor-Augen-Stellen als Ereignis und Verfahren des auftauchenden Bildes zu In der Stadt und vor Gericht. Das Auftauchen der Bilder und die Funktion der Grenze in der antiken Rhetorik bestimmen, bleibt aber der Eindruck des Unterdeterminierten. Aristoteles spricht zwar einlässlich von Metaphern, die vor Augen stellen,5 aber der Charakter des Vor-Augen-Stellens wird nur als eine besondere Art der Metapher beschrieben. Cicero und Quintilian geben Hinweise zum anschaulichen, vor Augen stellenden Erzählen. Was aber Anschaulichkeit bedeutet und was sie zur Figur macht, erklären sie nur anhand einer anderen rhetorischen Technik, der Narration. Vor-Augen-Stellen selbst bestimmt sich in beiden Fällen aus den Bedingungen der rhetorischen Technik. Rhetorische Techniken sind regional in einem strikten Sinn:
Ihre Wirksamkeit besteht in den Grenzen, für die und in denen sie konzipiert sind. Nur in diesen Grenzen und nur deshalb, weil es sie gibt, verdichten sich Möglichkeiten der Rede zu Zügen, die von einer techne geregelt werden können. Das gilt vermutlich für alle Figurationen, besonders aber für die des emergierenden Bildes. Denn vor Augen ist etwas gestellt, weil es von einer Dichte und Art der Bezeichnung ist, die sich von ihrer Umgebung abhebt.
Auf diese Weise entsteht ein Feld, innerhalb dessen etwas energeia gewinnen und als ein Bild oder wie gegenwärtig erscheinen kann. Als ein Bild" und wie gegenwärtig" sind jedoch nur vergleichsweise gegebene und unscharfe Beschreibungen. Präzision erlangen sie durch die Bestimmung der Grenze, innerhalb derer sie gelten. Diese Grenzbestimmung ist aber auch die Bedingung, unter der die Rhetorik als techne überhaupt steht.
Inhalt
1;Inhaltsverzeichnis;7
2;Editorial;8
3;Niels Werber Kleiner Grenzverkehr. Das Bild der sozialen Insekten in der Selbstbeschreibung der Gesellschaft;10
4;Francesca Falk Amerika als leere Augenweide. John Lockes Staatstheorie und die Grenzfotografie vor Gericht;22
5;Karsten Heck Die florentinische Terra nuova. Grenzziehung und Entgrenzung an der Schwelle zum frühmodernen Staat;34
6;Rüdiger Campe In der Stadt und vor Gericht. Das Auftauchen der Bilder und die Funktion der Grenze in der antiken Rhetorik;43
7;Gerhard Scholtz Differenzieren und Synthetisieren: Zwei Formen des Vergleichens in der Biologie;71
8;Mechthild Fend Knochen und Kontur. Zur Körpergrenze in der Künstleranatomie des 19. Jahrhunderts;80
9;Martin Kemp The Leonine Man: from Metaphysics to MGM;91
10;Bildnachweis;115
11;Die AutorInnen;117
12;Bildwelten des Wissens;121