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Lange bevor 1993 das erste »Echolot« erschien, notierte Walter Kempowski in seinem Tagebuch: »Zentrum des Werks muss das Jahr 1945 sein, der Schlund des Trichters, auf den alles zudringt.« Zum 60. Jahrestag der deutschen Kapitulation findet das unvergleichliche Unternehmen mit dem Band »Abgesang '45« nun seinen Abschluss.
1993 erschien der erste Teil des Echolots dieser gewaltigen Collage aus Briefen, Tagebüchern, Bildern und Aufzeichnungen, die eine minutiöse Rekonstruktion von Alltagsgeschehen und historischen Ereignissen darstellt. Während die ersten vier Bände den Zeitraum von Januar und Februar 1943 umfassten, führte Walter Kempowski das kollektive Tagebuch in Teil II (»Fuga furiosa«, 1999 erschienen) in vier Bänden für die Zeit von Januar und Februar 1945 weiter. Echolot III (»Barbarossa '41«, 2002 erschienen) umfasste in einem Band die Zeit von Juni bis Dezember 1941. Mit dem jetzt erscheinenden Band »Abgesang '45« setzt Kempowski den Schlussstein zu diesem unvergleichlichen, sich insgesamt auf 10 Bände erstreckenden Unternehmen. In »Abgesang '45« lässt der Autor die hochdramatischen letzten Tage Hitlerdeutschlands wie in einem Film lebendig werden. Der Leser wird dadurch zum Augenzeugen privater und politischer Ereignisse er erlebt das unermessliche Leid, das die Nazis über die Menschen brachten, und gleichzeitig Hitlers letzten Geburtstag am 20. April 1945, der sich im Berliner Führerbunker in gespenstischer Atmosphäre abspielt. Walter Kempowskis Collage ist Totentanz und Apokalypse zugleich. In ihr kommen Opfer und Täter, Prominente und Namenlose zu Wort; sie ist ein erschütterndes Zeugnis des Untergangs und spricht von politischer Verblendung, von fanatischer Unbelehrbarkeit, von Verzweiflung und Todesangst, von Hoffnungen und Illusionen, die mit dem Ende eines barbarischen Regimes verknüpft waren.
"Das Echolot wird Walter Kempowski einen angemessenen Platz im Kanon der deutschen Literatur sichern."
Autorentext
Walter Kempowski wurde am 29. April 1929 als Sohn eines Reeders in Rostock geboren. Er besuchte dort die Oberschule und wurde gegen Ende des Krieges noch eingezogen. 1948 wurde er aus politischen Gründen von einem sowjetischen Militärtribunal zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Nach acht Jahren im Zuchthaus Bautzen wurde Walter Kempowski entlassen. Er studierte in Göttingen Pädagogik und ging als Lehrer aufs Land. Seit Mitte der sechziger Jahre arbeitete Walter Kempowski planmäßig an der auf neun Bände angelegten "Deutschen Chronik", deren Erscheinen er 1971 mit dem Roman "Tadellöser & Wolff" eröffnete und 1984 mit "Herzlich Willkommen" beschloss. Kempowskis "Deutsche Chronik" ist ein in der deutschen Literatur beispielloses Unternehmen, dem der Autor das mit der "Chronik" korrespondierende zehnbändige "Echolot", für das er höchste internationale Anerkennung erntete, folgen ließ.Walter Kempowski verstarb am 5. Oktober 2007 im Kreise seiner Familie. Er gehört zu den bedeutendsten deutschen Autoren der Nachkriegszeit. Seit 30 Jahren erscheint sein umfangreiches Werk im Knaus Verlag.
Leseprobe
Vorwort
Als ich vor zwanzig Jahren am Echolot zu arbeiten begann, beschigten mich drei Bilder.
Zunst der Turmbau zu Babel von Breughel, jene Darstellung des konisch zulaufenden Turms, der vielbgig aufeinander gesetzten Spirale, die sich in die Wolken hineinschraubt und zu Gott hinaufdrt, jener Turm, den Menschen bauten, um dem Allmtigen gleich zu sein, den sie aber auch aus Sehnsucht aufrichteten, mglichst schon vor der Zeit zu ihm zu gelangen und sich in seinem Schozu bergen. Der Babylonische Turm strzte ein, wir wissen es, und die Verwirrung, die sein Fall mit sich brachte, dauert an.
Das zweite Bild war die Alexanderschlacht von Albrecht Altdorfer, jenes bekannte Geme, auf dem Tausende von Kriegern auszumachen sind, die einander umbringen. Menschen ohne Namen, Todgeweihte, lst vermodert und vergessen, und doch Mer, die Frau und Kind zu Hause sitzen hatten, deren Keime wir als Nachkommen in uns tragen.
Das dritte Bild war die ergabe von Breda des Spaniers Veluez. Auf diesem Bild steht ein Sieger einem Besiegten gegenber. Der siegreiche Feldherr hat dem Unterlegenen, der ihm demtig die Schlssel der Stadt bergibt, nicht den Fuin den Nacken gesetzt, sondern er neigt sich ihm gtig zu, ja, er hebt den sich beugenden Unterlegenen auf! Dieses Bild wurde vor 360 Jahren gemalt, und bis heute wurde seine Botschaft nicht eingelst.
Heute, in den Tagen des Erinnerns, zwei Generationen nach Kriegsende, sind es andere Bilder, an die ich denken mu Die Kamera schwenkt ber das zerstrte Warschau, ber die Leichenhaufen von Bergen-Belsen und ber eine Gefnismauer, die von Einschssen gesprenkelt ist, und noch immer werden Massengrr geffnet und Tote exhumiert. In Hiroshima let die Glocke.
Ich erinnere mich in diesen Tagen auch an die stillen Trecks der Flchtlinge, an die zurckhetzenden fliehenden deutschen Soldaten, rette sich wer kann! Und an die frhlich heimziehenden Fremdarbeiter mit ihren nationalen Kokarden. Auch an den weinenden Kindersoldaten auf der Protze seines zerstrten Geschtzes muich denken.
Meine Eltern besan eine Tabakbchse aus der Zeit des Siebenjigen Krieges, sie stand auf dem Radio neben Judenbart und Schlangenkaktus, auf der war zu lesen:
Es wechselt alles ab,
Nach Krieg und Blutvergien
La uns des Himmels Huld,
Des Friedens Lust genien.
Nein, von genien kann keine Rede sein. Unser Film ist zwar durchgelaufen, aber es liegen andere bereit, die wir alle noch sehen werden, wieder und wieder werden es Bilder von Krieg und Blutvergien sein, ein Ende der Vorstellung ist nicht in Sicht: Die Hochher brennen schon.
An die Bilderbibel von Doruich denken, die ich als Kind, auf dem Teppich liegend, durchblerte, an die Sintflut: Die Wasser verlaufen sich, und auf den Klippen liegen die Leiber der Ertrunkenen Wir warten noch immer auf die Taube, die uns den zweig bringt. Aber auf dem Bild von Dorpannt sich kein Regenbogen ber den Toten.
Nartum, Februar 2005 Walter Kempowski
Frhlingsglaube
Die linden Lfte sind erwacht,
Sie seln und weben Tag und Nacht,
Sie schaffen an allen Enden.
O frischer Duft, o neuer Klang!
Nun, armes Herze, sei nicht bang!
Nun musich alles, alles wenden.
Die Welt wird schner mit jedem Tag,
Man weinicht, was noch werden mag,
Das Blhen will nicht enden.
Es blht das fernste, tiefste Tal:
Nun, armes Herz, vergider Qual!
Nun musich alles, alles wenden.
2059 Tage Freitag, 20. April 1945 18 Tage
Den Feinden entfiel der Mut; denn sie merkten, dadies Werk von Gott war.
herrnhut neh. 6,16
Diesen hof ausfegen
Deezen hoaf ous faygen
Sweep this yard
stars and stripes,
daily german lesson
Der letzte Geburtstag Hitlers verlief trbe und traurig. Zur Gratulation erschienen die Grodmirale Raeder und Dnitz, Himmler und Goebbels.
Martin Bormann 19001945 Berlin
Geburtstag des Fhrers
Leider nicht gerade Geburtstags-Lage
Abflug Vorauskommando nach Salzburg angeordnet.
Dr. Theodor Morell 18861948 Berlin / Reichskanzlei
Strophantose, Betabion forte i. v. plus Harmin s.c. durch Dr. Stumpfegger machen lassen, da ich zu zittrig war.
Adolf Hitler 18891945 (Berlin)
An Benito Mussolini Meinen Dank Ihnen, Duce, fr Ihre Glckwnsche zu meinem Geburtstag. Der Kampf, den wir um unsere nackte Existenz fhren, hat seinen Hhepunkt erreicht. Mit unbeschrtem Materialeinsatz setzen der Bolschewismus und die Truppen des Judentums alles daran, ihre zerstrerischen Kre in Deutschland zu vereinen und so unseren Kontinent in ein Chaos zu strzen. Im Geiste zr Todesverachtung werden das…