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Kommt die eigene Sprache erst zu ihrem Wort, wenn sie aus der Selbstverständlichkeit fällt? Ist sie dann in eine Hüpfburg gegangen und prallt mit anderen falschen Freunden zusammen? Oder beugt sie sich mit anderen Frauen über einen Stadtplan und murmelt etymologisch zweifelhafte, aber poetologisch zündende Wegbeschreibungen? Routen für die Leser*innen, die von translantischen Texten erst geschrieben werden? In den hier erstmals versammelten Essays und Reden entwirft die Lyrikerin und Übersetzerin Uljana Wolf lustvoll und hellhörig jenes cargo schmargo des Gedichts, die Verschiebung des herrschenden Ausdrucks als produktive Verstörung angestammter Wahrnehmung von Identität und Sprache. Ob Prosagedicht, Übersetzung, translinguales Schreiben Wolfs Augenmerk gilt dem schmugglerischen Sprachhandeln, den hybriden Formen, dem Grundrecht, jenes und zugleich ein anderes zu sein. Davon bleibt auch die Form des Essays nicht unberührt, wird Guessay, Translabor, Versuchsanordnung eines poetischen Denkens, das immer währendes Gespräch ist unter anderem mit Ilse Aichinger, Peter Huchel, Gertrude Stein, Elisabeth Barrett Browning und Theresa Hak Kyung Cha , eine Form, die zum Weitersprechen, Fabulieren und gossippen einlädt.
Autorentext
Uljana Wolf, geboren 1979 in Berlin, studierte Germanistik, Kulturwissenschaft und Anglistik in Berlin und Krakau. Seit 2006 freie Autorin und Übersetzerin. Visiting Professor am Pratt Institute in Brooklyn seit 2014. Lehraufträge u.a. an der Schule für Sprachkunst Wien, am German Department der New York University und der Humboldt Universität Berlin. Mitglied des PEN und der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Darmstadt. Uljana Wolf veröffentlichte zuletzt "Wandernde Errands. Theresa Hak Kyung Chas translinguale Sendungen", Wunderhorn 2016, und "meine schönste lengevitch. Gedichte", kookbooks 2012. Zu ihren zahlreichen Auszeichnungen gehören die August-Wilhelm-von-Schlegel-Gastprofessur für Poetik der Übersetzung 2019, der Preis der Stadt Münster für Internationale Poesie, gemeinsam mit Monika Rinck und Eugene Ostashevsky, 2019, der Kunstpreis Literatur der Akademie der Künste Berlin 2019, das Arbeitsstipendium der Villa Massimo in Rom 2017/18 und der Peter-Huchel-Preis 2006. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin und New York.
Leseprobe
Vielleicht eignet sich ja das Wort gossip, englisch für Tratsch, Klatsch, halbwahre Neuigkeiten ganz gut als Name für die imaginative Etymologie des translingualen Gedichts, da es selbst in seiner Geschichte den Sprung von Verwandtschaft in Scheinverwandtschaft absolviert hat. Das Wort gossip, Altenglisch godsipp bezeichnete ursprünglich einen Paten oder Patin (God + sibb, Verwandtschaft), später nahe Vertraute und Familienfreunde, seit dem 16. Jahrhundert das Gespräch mit diesen Vertrauten. Erst im 17. Jahrhundert verändert sich die Bedeutung und nimmt deutlich pejorative Untertöne an, da jetzt die unnütze, halbwahre Tratschrede von Frauen damit benannt wird. Dass man also fragen muss, wer von Bedeutungsbildungen ausgegrenzt oder instrumentalisiert oder in welchen Gärten eingesperrt oder aus welchen Türmen gestürzt wurde. Unterhaltung mit falsch verstandenen Gästen. Einfl üsterungen, verwandeltes und jetzt neu verwandtes Sprechen. (aus: Etymologischer Gossip im Gedicht) DIRTY BIRD TRANSLATION Führt man im Englischen jemanden in die Irre, schickt man ihn nicht auf den Holz-, sondern begleitet ihn auf dem Gartenweg: lead someone down the garden path. Übersetzen wird für mich immer mehr zu einem solchen Gartengehen, und zwar im zweifachen Sinne. Einerseits kommt es mir darauf an, mit und neben dem Originalgedicht zu spazieren, das heißt, sein Laufen, Schreiten, Springen wichtiger zu nehmen als sein Sagen, Rätseln, Rufen. Ich meine damit nicht objektiv zählbare Verse und Füße (aber auch), sondern den rhythmisch-gestischen Abdruck, den eine Zeile mit ihrem Auf und Ab, ihren Kadenzen, in meinem Körper hinterlässt. Going for a walk with an English poem heißt für mich zum Beispiel: Versuche so oft wie möglich, die Endstellung des Verbs zu verhindern! Das macht mich zuweilen ganz kirre. Als würde Mark Twain höchst persönlich in meinem Nacken keuchen. (Deutsche Bücher sind recht einfach zu lesen, wenn man sie vor einen Spiegel hält oder sich auf den Kopf stellt, um die Konstruktion herumzudrehen.) Dass Mark Twain mir nicht im Nacken sitzt, sondern keucht, hat mit dem zweiten interessanten Aspekt des Gartengehens zu tun, nämlich mit der Irre, oder mit breathing down my neck, also damit, dass hier etwas vermischt wurde, was beim Übersetzen normalerweise säuberlich getrennt wird. Heimlich träume ich davon, das Ideal einer sauberen, reinen usw. Übersetzung hinter mir zu lassen und stattdessen dort, wo gar nichts mehr und alles geht, mit einer Unreinheit zu spielen, die in meinen Gedichten schon länger um sich greift. Dirty Bird Translation. Translantisches. Eine Unreinheit, die nicht so sehr auf Nichtkönnen beruht (denn können muss man, um die besseren Fehler zu machen), sondern auf Nichttrennenkönnen. Die Lust, das fremde Material in der Zielsprache poetisch wirksam werden zu lassen, wie ein sanftes Gift/gift. Vielleicht ist Unreinheit nur ein anderes Wort für das, was Édouard Glissant meinte, als er schrieb: Übersetzung ist eine wahrhaft kreolisierende Operation: Eine Spur in die Sprachen legen heißt, eine Spur ins Unvorhersehbare unserer nun gemeinsamen Lebensbedingungen legen. Unvorhersehbar, denn diese Art des Spazierengehens bringt es mit sich, dass man zuweilen nicht mehr weiß, auf welcher Seite des Pfades man geht.