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Diese intellektuelle Biographie unternimmt eine grundlegende Revision von Robert Michels politischem Werk und Leben. Sie ist nicht nur die bislang umfassendste Gesamtdeutung dieses Klassikers der Politikwissenschaft, sondern auch die erste seit über drei Jahrzehnten.
Ihr theoretisches Herzstück ist eine Neuinterpretation von Michels berühmter Soziologie des Parteiwesens (1911), ihrer pessimistischen, aber auch ihrer demokratiepädagogischen Sinngehalte. Hat die Forschung bisher beim frühen Michels nach Erklärungen für die spätere Wende zum akademischen Botschafter des italienischen Faschismus gesucht, wird hier auf der Basis unbekannten Text- und Archivmaterials der Präfaschist Michels als Legende - der Forschung, vor allem aber auch des späten Michels selbst - entlarvt. Dies macht den Blick frei auf den unkonventionellen Sozialdemokraten Michels: als radikaler Liberaler und Republikaner, Feminist, Sexualreformer, Bewegungsforscher, leidenschaftlicher Vertreter des nationalen Selbstbestimmungsrechts und europäischer Pazifist.
Das biographische Herzstück bildet Michels Rolle im Ersten Weltkrieg, seine resignative Außenseiterposition im Kontext der allgemeinen Kriegsbegeisterung von 1914, aber auch sein proitalienisches Kriegsengagement in den Folgejahren, das seine Fremdheit im Weltkrieg eher zementiert als sie überwindet. Die Rekonstruktion der vielfältigen Brüche seiner Biographie relativiert nicht, sondern präzisiert vielmehr Michels politische Verantwortung in den 20er und 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts: obwohl kein Faschist der ersten Stunde , steht Michels für die Erosion des politischen Liberalismus in der Nachkriegszeit und hat diese durch seine publizistische Wirkung noch verstärkt.
Zusammenfassung
"[Es handelt sich] um die erste intellektuelle Biografie des Soziologen und Politikwissenschaftlers, die diese Bezeichnung verdient. Basierend auf der intensiven Durchdringung eines weit verstreuten, in mehreren Sprachen verfassten OEuvre, angereichert durch eine gründliche Auswertung des in Turin lagernden Nachlasses, inspiriert und informiert durch die überaus rege Michels-Forschung in Italien, supplementiert schliesslich durch die sorgfältige Auslotung eines Kontexts, der sich auf so heterogene Gebiete erstreckt wie die Debatten der Zweiten Internationale, die positivistische Kriminalanthropologie, die Weltkriegspublizistik oder den Faschismus, stösst das Achthundert-Seiten-Werk von Timm Genett Kapitel um Kapitel die Meinungen um, die sich über Michels eingebürgert haben." Stefan Breuer in: Neue Zürcher Zeitung, 28. August 2008 "Die späte Karriere des deutsch-italienischen Gelehrten unter dem Faschismus hat jahrzehntelang den Blick auf Michels' überaus reichhaltiges Frühwerk verstellt, dessen Gehalt vom Autor jetzt in seiner außerordentlich verdienstvollen, mit immenser Gründlichkeit erarbeiteten Darstellung erstmals umfassend rekonstruiert worden ist. [...] Genetts magistral[e] Studie [verdient] ein uneingeschränktes Lob und darüber hinaus Beachtung nicht nur derjenigen [...], die sich für die Genese der modernen Sozialwissenschaften interessieren." Hans-Christof Kraus in: Das Historisch-Politische Buch, 56 (2008) 3 "Das Buch ist uneingeschränkt zu empfehlen." Dr. Steffen Augsberg in: Mitteilungen des Instituts für Deutsches und Europäisches Parteienrecht und Parteienforschung, 2008/2009, Heft 15 Eine "gewichtige intellektuelle Biografie" TN in: Zeitschrift für Politikwissenschaft, 13. Januar 2009 "Sein Ziel, die These einer 'faschistischen Präfiguration' von Michels' Werk zu widerlegen, hat Gennett [...] erreicht und einen fesselnd zu lesenden Beitrag zur Politik- und Geistesgeschichte des 20. Jahrhunderts vorgelegt." Max Bloch in: H-Soz-u-Kult, 27. März 2009 "Genetts Buch ist zweifellos die umfassendste Darstellung des Lebens und des Gesamtwerkes von Michels in deutscher Sprache. Sie ist durchgängig kritisch und konsequent historisch. Trotz des ungeheuren Umfangs wirkt das Buch nicht weitschweifig oder langatmig, es ist vielmehr gut lesbar." Werner Röhr in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 57 (2009) 9
Leseprobe
VII. Die unvollendete Soziologie des Patriotismus (1912 1936) (S. 532)
Die Rezeption seines Werkes hat Michels wissenschaftliche Leistung weitgehend auf seine Soziologie des Parteiwesens" reduziert. Als Theoretiker des Nationalismus und Soziologe des Nationalbewußtseins ist er ein Unbekannter geblieben. Dies mag insbesondere für die bundesrepublikanischen Geistes- und Gesellschaftswissenschaften bis Ende der achtziger Jahre leicht nachvollziehbar sein, da hier Nationalismus in erster Linie ideologiekritisch als Irrweg und Pathologie der Moderne begriffen worden ist und man dem Thema allenfalls historische, aber keine gegenwartspolitische Relevanz attestierte. Institutionell schienen die westeuropäischen Demokratien den Nationalstaat schon über ihre transnationale Verflechtung mit der Europäischen Gemeinschaft allmählich hinter sich zu lassen. Philosophisch spiegelte sich das gewandelte Selbstverständnis im Postulat einer postnationalen europäischen Identität. Es gab, zumal im auf unabsehbare Zeit geteilten Deutschland, wenig Anlaß, die Ideengeschichte nach Begründungen und Analysen nationaler Identität abzuklopfen.
Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts, der Wiedervereinigung und der Rückkehr der Stämme in Osteuropa hatte sich das geändert. In den neunziger Jahren avancierte die Nation zu einem Mode-Thema der Politik- und Geschichtswissenschaften. Dabei gerieten neben den soziostrukturellen auch die ideellen Grundlagen des Nationalbewußtseins in den Blick. Stichworte wie die imagined comunity" oder die Nation als Modell politischer Ordnung" standen für das Interesse an den produktiven Leistungen und kreativen Voraussetzungen nationaler Identität. Im Kontext der osteuropäischen Revolutionen und der folgenden Sezessionsbewegungen gewann auch die frühere These Hannah Arendts wieder an Plausibilität, daß bislang allein der Nationalstaat die politische Ordnung gewesen ist, in der sich, wenn überhaupt, universale Prinzipien wie Menschenrechte, Partizipation und soziale Wohlfahrt haben verwirklichen lassen.
Trotz der damaligen Hochkonjunktur der Idee der Nation ist ein Rekurs auf Michels Schriften allerdings ausgeblieben. Das ist durchaus verwunderlich, weil Michels sich zu seiner Zeit einen respektablen Ruf als Patriotismus-Experte erworben haben dürfte. Davon zeugen nicht nur seine umfangreichen Abhandlungen und die zahlreichen Einladungen zu Kongressen, um zu diesem Thema zu sprechen, sondern auch seine Mitarbeit an dem ersten autoritativen Handwörterbuch der deutschen Soziologie, wo man ihm den Artikel Patriotismus" reserviert hat. Michels erster Beitrag zum Patriotismus auf der akademischen Bühne ist sein Vortrag auf dem Zweiten Deutschen Soziologentag vom 20.-22. Oktober 1912 in Berlin. Michels, seit dem 1. Februar 1911 ordentliches Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Soziologie", hält dort sein Referat über Die historische Entwicklung des Vaterlandsgedankens".
Dieses wird in der Folge Erweiterungen und Überarbeitungen erfahren, um schließlich 1929 in die materialreiche Monographie Der Patriotismus" zu münden. Diese Kontinuität seiner Patriotismus-Studien hat Michels selbst dadurch kenntlich gemacht, daß er die Beendigung seiner Monographie auf den Herbst Rom 1928", den Beginn aber mit Turin 1913" datiert hat. Die Bedeutung, die Michels dieser Studie beigemessen hat, geht aus seiner Ankündigung im Archiv" 1913 hervor, daß die Abfassung eines größeren Werkes" zum Patriotismus einen alten Lieblingswunsch des Verfassers darstellt." Sein erklärtes Ziel, vielleicht als erster" den Patriotismus psychologisch zu erklären und ihn systematisch in seine historisch wandelbaren Wurzeln zu zerlegen" hat er in den Jahren von 1912 …