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Mit dem Wandel von der industriellen zur Dienstleistungsgesellschaft werden Gefühle zu entscheidenden beruflichen Kompetenzen. Sie unterliegen der Vermarktlichung und werden zu einem Kapital. Otto Penz und Birgit Sauer entwickeln vor diesem Hintergrund in Anlehnung an Bourdieu und Foucault ein kritisches gesellschaftstheoretisches Konzept von Affekten. Sie untersuchen deren soziale und geschlechtsspezifische Prägung im Kontext neoliberaler Transformation von Erwerbsarbeit und zeigen am Beispiel einer einst staatlichen Verwaltung, nämlich der Post, wie die Fremd- und Selbstkontrolle von Affekten zu einer unternehmerischen Haltung der Arbeitskräfte beiträgt.
Das Buch behandelt sowohl die Auswirkungen affektiver Arbeit auf die Subjektivität der Beschäftigten als auch die Frage der affektiven Vergesellschaftung von Arbeitskräften im gegenwärtigen Kapitalismus. Es diskutiert, ob die Mobilisierung von Affekten zum Verschwinden der Geschlechterdifferenz führt und ob sich aus affektiven Beziehungen neue Chancen für solidarisches Handeln angesichts prekärer Arbeitsverhältnisse eröffnen.
"In ihrem Buch Affektives Kapital, entwickeln Otto Penz und Birgit Sauer ihren eigenen Ansatz, der mit Bezug auf Pierre Bourdieu davon ausgeht, dass Gefühle heute wertschöpfend eingesetzt werden, und zwar nicht mehr nur in den traditionell weiblichen Berufen. In diesem Sinne sprechen Penz und Sauer auch von einer Feminisierung der Arbeit, da der früher als weiblich konnotierte Einsatz von Emotionalität zunehmend in allen Arbeitsfeldern gefordert ist." Andrea Roedig, Der Tagesspiegel, 22.12.2016
Autorentext
Otto Penz lehrt Soziologie an der Universität Wien und an der Wirtschaftsuniversität Wien. Birgit Sauer ist Professorin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien.
Leseprobe
Einleitung: Über die Ökonomisierung von Gefühlen
"Gefühle einschalten." So plakatiert im Sommer 2015 ein österreichischer Radiosender, um für sein neues Klassikprogramm zu werben. Zeitgleich inseriert eine Automarke aus dem kostspieligen Segment: "Männergefühle haben einen Namen" - nämlich den der Automarke - und: "Männergefühle können stark sein. Nämlich 241 PS stark." Dass Werbung auf Gefühle abzielt, ist nichts Neues, und doch weisen diese Beispiele von Plakatwerbung im städtisch-öffentlichen Raum auf einen neuartigen Umgang mit Gefühlen im Vergleich zu den Jahrzehnten zuvor hin. Lange Zeit waren Gefühle in die Privatheit von Intimbeziehungen und die Semiöffentlichkeit von Beratungsmagazinen oder Therapien weggeschlossen. In der Werbung sollten sie eher unterschwellig angesprochen werden, damit sie Einfluss gewinnen können. Demgegenüber geht die ostentative Rede über Gefühle von anderen Wirkungszusammenhängen aus. Gefühle sollen gezeigt werden, nicht mehr verborgen bleiben: "Zeig deine Gefühle" - so adressiert eine "innovative App" des Kunstprojekts Art of Feeling in einem Wiener Museum die BesucherInnen. Wir befinden uns also mitten in einem Prozess der diskursiven Hervorbringung von Gefühlen, einem Gefühlsdiskurs, der nicht nur den öffentlichen Umgang mit Gefühlen neu formatiert, sondern auch das Verhältnis der Menschen zu ihren Gefühlen neu definiert: Menschen sollen ermuntert werden, ihre Gefühle nicht mehr als privat zu betrachten, sondern sie zu äußern, zu veröffentlichen. Dies wiederum, so eine der Ausgangsannahmen dieses Buches, etabliert neue Machtverhältnisse, wird doch dieser Gefühlsgestus zum Credo eines auf Gewinn in allen Lebenspraxen bedachten Menschen. "Wer Gefühle zeigt, gewinnt", formulierte dies eine Wiener Werbekampagne bereits vor einigen Jahren. Und umgekehrt: Wer keine Gefühle zeigt, verliert und ist somit höchstens am Rande der neuen (Arbeits-)Welt verortet. "Das Subjekt partizipiert am öffentlichen Leben über die Konstruktion und Zurschaustellung seiner privaten Emotionen", schreibt Eva Illouz (2006, 81). Besonders augenscheinlich werde dies in den Talk- und Realityshows (ebd., 79ff.), die seit den 1990er Jahren im Fernsehen florieren, in denen die subjektiven Befindlichkeiten der AkteurInnen im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen. Die öffentliche Darstellung dieser emotionalen Konstitution kann in Fernsehformaten wiederum in Wert gesetzt werden bzw. wird zur Voraussetzung für eine Teilhabe am öffentlichen Format - und an Öffentlichkeit.
Dieser Wandel von Gefühlsverhältnissen, so die Ausgangsvermutung dieses Buches, gründet in neuen ökonomischen, sozialen und politischen Verhältnissen, nämlich dem Wandel westlicher Industriegesellschaften hin zu Dienstleistungs- und Wissensökonomien, einer neoliberalen Reorganisation von Staat und Ökonomie sowie mit diesen Transformationen verknüpften Veränderungen sozialer Institutionen des Arbeits- und Zusammenlebens, auch von Alltagspraxen. Ersteres zeigt sich in der Veränderung von Arbeitsprozessen in Richtung immaterieller Arbeit, durch die Kommunikation, Wissen und auch Gefühle hergestellt werden - Arbeitsprozesse, die auf Kooperation beruhen und in die nicht zuletzt die Affektivität der Arbeitskräfte einfließt. Die zweite Dimension manifestiert sich beispielsweise in der Deregulierung von Arbeit, aber auch in der Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen im Zeichen von Effektivität und Kosteneffizienz. Diese öffentlichen Dienstleistungen unterliegen einem marktförmigen Wettbewerb und haben sich auf Märkten zu bewähren. Seit den 1990er Jahren beschleunigt sich im globalen Norden die Vermarktlichung und Kommodifizierung von Dienstleistungen, wie öffentlicher Transport, Telekommunikation und Post, die bessere Leistungen und größere KundInnennähe versprechen, und aus staatlichen Bürokratien im Dienste der Allgemeinheit erwachsen Dienstleistungsunternehmen mit Profitinteressen. Die dritte Dimension wird in durchaus widersprüchlichen Prozessen der Ent- und Resolidarisierung sichtbar, beispielsweise im Wandel von traditionellen Formen der Solidarität - sei es der Wandel von Familienverhältnissen oder das Erodieren von (wohlfahrtsstaatlichen) Institutionen des sozialen Ausgleichs - und in Wertorientierungen, die soziale Sorge für sich und andere neu denkt, zum Beispiel in Praktiken von commons.
Alle drei Entwicklungen, so unsere These, lassen die Arbeitskräfte, die berufstätigen Menschen also, nicht unberührt. Viel mehr noch: Sie tragen zur Formung von Subjekten bei, die das für Dienstleistungen notwendige affektive Vermögen und die konkurrenzgeleiteten (KundInnen-)Orientierungen verinnerlicht haben und dies als ihr Talent und ihre persönliche Kompetenz betrachten. Dem Gefühlsmanagement kommt dabei eine zentrale Rolle zu, erweist sich die Qualität von kundInnenorientierter, interaktiver Dienstleistungsarbeit doch am Einfühlungsvermögen und an der Vertrauensbildung im Umgang mit Kundschaft, sodass die Subjektivierung am Arbeitsplatz und Vorstellungen von Professionalität ganz wesentlich die Gefühle tangieren. Wir gehen davon aus, dass das Arbeitsregime eine prägende Kraft entwickelt, die nicht allein das Erwerbsleben der Menschen betrifft, sondern ihren gesamten Habitus einschließlich ihrer Affekte strukturiert und damit zur Ausprägung einer spezifischen Affektkultur im Neoliberalismus, einer neoliberalen emotionology, wie Stephen Fineman (2008a) dies nennt, führt.
Warum erscheint uns gerade die Erwerbsarbeit für diese affektive Subjektivierung besonders wichtig? Unsere erste Antwort lautet, weil wir nach wie vor in einer Arbeitsgesellschaft leben und die Menschen in der Regel durch bezahlte Arbeit - an die wiederum die Systeme der sozialen Sicherung gekoppelt sind - ihren Lebensunterhalt bestreiten, und zwar zunehmend auch die Frauen im Prozess der Tertiarisierung der Ökonomie und der neoliberalen Reorganisation von Erwerbsarbeit. Die berufliche Position ist konstitutiver Bestandteil des persönlichen Selbstverständnisses, das in den Erzählungen der Menschen über ihren Werdegang entsteht, sie ist zentraler Lebensinhalt, und sie verleiht den Arbeitskräften sozia…