»Das Gefühl der Bedrohung wird in diesem raffiniert strukturierten Plot meisterhaft aufrechterhalten.« Daily Mail
Auf der kleinen Insel St Michael's Mount verbringen Krimiautorin Josephine Tey und Detective Chief Inspector Archie Penrose in illustrer Runde und mit Marlene Dietrich als Ehrengast ihre Weihnachtstage. Die festliche Stimmung schlägt jedoch schnell um, nach zwei Morden scheint jede und jeder verdächtig dass die Insel auch noch durch Schneesturm und Flut vom Festland abgeschnitten ist, macht die Angst der Gäste nicht kleiner.
»Nicht nur Kriminalromane, sondern begeistern durch eine differenzierte, genaue Figurendarstellung sowie eine sehr atmosphärische Darstellung der damaligen Zeit und ihrer Menschen.« Thomas Gisbertz, Krimi Couch, 02.11.2023
Autorentext
Nicola Upson wurde 1970 in Suffolk, England, geboren und studierte Anglistik in Cambridge. Ihr Debüt Experte in Sachen Mord bildet den Auftakt der erfolgreichen, mittlerweile zehnbändigen Krimi-Reihe. Bei deren Hauptfigur Josephine Tey handelt es sich um eine der bekanntesten Krimi-Autorinnen des Britischen Golden Age. "Mit dem Schnee kommt der Tod" war nominiert für den CWA Historical Dagger Prize (2021). Nicola Upson lebt in Cambridge und Cornwall.
Zusammenfassung
»Nicola Upsons Kriminalroman ist dunkler und tragischer, als die Aufmachung vermuten lässt. Er ist zwar traditionell, die Autorin erlaubt sich aber für das Genre auch durchaus Ungewöhnliches.« Sylvia Staude, Frankfurter Rundschau, 05.01.2024 Frankfurter Rundschau 20240104
Leseprobe
ERSTER WEIHNACHTSTAG 1920
An jenem Tag wurde dem Weihnachtsfest jegliche Freude genommen, zumindest dachte er das später alles war eine Parodie dessen, was es hätte sein sollen. Der Schnee war schmutzig und zertrampelt, die Kinder verängstigt und unterkühlt, und selbst das Rotkehlchen, das auf dem Rand einer Mülltonne saß, gab keinen Ton von sich, als wäre es mitschuldig an der Schreckensszene, die ihn im Haus erwartete. Und dann war da natürlich noch ihr Gesichtsausdruck. Noch Jahre später würde er bei dem Weihnachtslied, das er früher so gerne gemocht hatte, an ihren Blick denken müssen, eine schmerzhafte Erinnerung daran, wie wenig Trost und Freude es wirklich auf der Welt gab.
Bei seiner Ankunft hatte sich bereits eine große Menschentraube gebildet, und als frischgebackener Detective Sergeant konnte er es kaum erwarten, sich einen Namen zu machen. Das Haus war in Notting Dale, einem Armenviertel aus überfüllten Straßen und heruntergekommenen Bauwerken, und obwohl der Schnee zahlreiche Mängel gnädig bedeckte, war es immer noch eine üble Ecke der Stadt. Ein düsterer, eintöniger Straßenzug reihte sich an den nächsten, und nichts wies darauf hin, dass sich die Bewohner um Weihnachten oder sonst irgendetwas scherten. Er parkte am Ende der Straße, auf der Molly Naylor und ihre Kinder gewohnt hatten, und ging zu Fuß zu den versammelten Nachbarn, die wortlos abwarteten, was als Nächstes passieren würde. Als er sich an den Schaulustigen vorbeischob, spürte er, wie ihm Feindseligkeit entgegenschlug, kalt wie die raue Dezemberluft. Eine Männerstimme murmelte sarkastisch: »Frohe Weihnachten.«
An der Haustür stand ein Uniformierter mit totenbleichem Gesicht wahrscheinlich der örtliche Streifenpolizist, der zu seinem Pech zuerst vorbeigekommen war. »Wer hat sie gefunden?«, fragte er nach einer knappen Begrüßung.
»Der Nachbar im Nebenhaus, Sir. Seine Frau hat gestern Abend einen Streit gehört, aber nichts unternommen, weil sie mit dem Baby allein war, und außerdem wollte sie sich nicht einmischen. Und als heute Morgen kein Ton von nebenan zu hören war, kam ihr das seltsam vor. Anscheinend war bei ihr zu Hause die Hölle los. Sie wissen schon, Kinder an Weihnachten.« Er brach ab, als hätte er etwas Unpassendes gesagt. Vermutlich hatte ihn das wahre Ausmaß der Tragödie endlich mit voller Wucht getroffen. »Jedenfalls hat sie ihren Mann rübergeschickt, damit er mal nachsieht. Die Hintertür war offen, und dann hat er sie auch direkt gefunden. Nach dem ersten Zimmer hat er wohl sofort kehrtgemacht, und das glaube ich ihm gern. Würde jeder machen, der es sich aussuchen kann.«
»Wo ist der Mann jetzt?«
»Wieder zu Hause, Sir. Sah richtig übel aus. Meinte, er will seine Kinder in den Arm nehmen. Ich habe ihm schon gesagt, dass er mit Ihnen rechnen soll.«
»Und sonst war niemand in der Wohnung?«
Er schüttelte den Kopf. »Niemand außer mir. Ich dachte erst, ich kann die Leute nicht draußen halten, wenn es sich erstmal rumgesprochen hat, aber Fehlanzeige. «
»Es bleibt ihnen wohl nicht mehr viel übrig, außer Respekt zu zeigen.«
»Oder Angst.« Penrose warf ihm einen scharfen Blick zu, und er zuckte die Schultern. »So kommt es mir zumindest vor. Eine Frau, die ihren Kindern so was antun kann «
»Für solche Mutmaßungen ist es noch zu früh. Kannten Sie die Familie?«
»Nein, Sir. Erst seit heute.«
Bald wäre ihr Name in aller Munde. Penrose bedankte sich, betrat das Haus und schloss die Tür hinter sich. Drinnen herrschte eine gespenstische, verstörende Stille, und obwohl er dem Constable für seine voreiligen Worte über den Mund gefahren war, verstand Penrose genau, was er gemeint hatte. Er hatte bei Mollie Naylors Nachbarn keinen Respekt gespürt, sondern pures Entsetzen eine Art Aberglaube, als könnte das Grauen auch sie treffen, wenn sie ihm zu nahe kämen. Vielleicht lag es auch nur an der ernüchternden Erkenntnis, wozu das menschliche Herz in der Lage ist, wenn die Umstände unerträglich wurden. Die Stille war erdrückend, und Penrose zwang sich, weiterzugehen. Er schauderte die Kälte in seinen Knochen war nicht nur dem Wetter und dem verfallenen Zustand des Hauses geschuldet.
Im Erdgeschoss gab es nur ein Zimmer, eine Wohnküche mit ein paar alten Möbelstücken, die ihre besten Tage hinter sich hatten. An manchen Stellen löste sich der Putz von der Decke, und die Tapete wölbte sich derart an den feuchten Wänden, dass er sich fragte, weshalb sich überhaupt jemand die Mühe gemacht hatte. Eine Wäscheleine war von einer Ecke in die andere gespannt, und hier und da waren die Dielen vom stetig heruntertropfenden Wasser verfault. Schimmelbefall verlieh dem Haus einen muffigen Geruch, in den sich etwas Metallisches, Ekelerregendes mischte, das hier nichts zu suchen hatte, ihm jedoch nur zu vertraut war. Immerhin dazu taugte die Kälte, dachte er bitter; im Sommer wäre der Gestank unerträglich gewesen. Die winzigen, fadenscheinigen Kleidungsstücke, die in der Nähe des Kamins hingen, taten ihm in der Seele weh, und er musste sich abwenden.
Die Verwahrlosung überraschte ihn nicht; nach dem Krieg waren die Mieten derart niedrig und Wohnraum derart knapp, dass die Vermieter keinen Anlass besaßen, auch nur die grundlegendsten Reparaturarbeiten auszuführen. Doch ihm fiel auf, wie sauber das Zimmer trotz allem war. Unter seinen Kollegen kursierte der Witz, dass die dunkelblauen Uniformen sich mit einem Besuch in den Armenvierteln jedes Mal braun verfärbten, doch bislang wirkte die Wohnung so gepflegt, wie es eben möglich war, und dieses kleine, trotzige Anzeichen von Stolz verlieh dem Schild über dem Kamin »Gott schütze dieses Haus« mehr als nur einen zynischen Beigeschmack.
Und dann war da noch der Baum, ein dürres, unwilliges Exemplar, an dem Dickens' Ebenezer Scrooge seine helle Freude gehabt hätte. Doch er war liebevoll geschmückt worden, und Penrose trat einen Schritt näher, um die selbst gebastelten Sterne und Engel und den Watteschneemann in Augenschein zu nehmen, der an der Baumspitze hing; in seiner Kindheit waren solche Spielzeuge ungemein beliebt gewesen. Er ging in die Hocke. Unter dem Baum lagen sechs Geschenke, allesamt in Zeitungspapier eingeschlagen, und er konnte sich nicht erinnern, jemals etwas Deplatzierteres gesehen zu haben. Wodurch um alles in der Welt hatte sich das Schicksal der Familie innerhalb weniger Stunden derart dramatisch gewendet?
Zwei Umschläge lagen ordentlic…