Tiefpreis
CHF27.20
Auslieferung erfolgt in der Regel innert 5 bis 7 Werktagen.
Die historische Forschung zu Männern und Männlichkeiten ist kaum noch zu überblicken. Jürgen Martschukat und Olaf Stieglitz zeigen in dieser konzisen Einführung, wie die Männergeschichte aus der internationalen Geschlechtergeschichte entstand; sie stellen die Leitfragen und die relevante Forschungsliteratur der Männergeschichte vor. Dabei setzen sie drei inhaltliche Schwerpunkte, die für männliche Subjektbildungen und Lebenswelten in der Neuzeit zentral sind: Vaterschaft zwischen Familie und Arbeit, Formen männlicher Geselligkeit und die Geschichte männlicher Sexualitäten.
"Die Einführung bietet eine zugängliche und sehr gut informierte Orientierung (...) und regt zur Weiterarbeit in diesem gesellschaftlich und wissenschaftlich relevanten Feld an."
H-Soz-Kult
"Der Band setzt Maßstäbe und ist zweifellos derzeit das Standardwerk zur Männergeschichte."
Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte
Autorentext
Olaf Stieglitz ist Professor für Amerikanische Kulturgeschichte an der Universität Leipzig.
Leseprobe
Vorwort zur 2. Auflage Heute, im Jahr 2018, hat eine Form von Männlichkeit Konjunktur, von der man geglaubt hätte, dass sie nicht mehr sonderlich hilfreich sei, um sich an den Schaltstellen einer demokratischen und kapitalistischen Gesellschaft zu platzieren. Eigentlich sollten in den Zeiten des flexiblen Kapitalismus doch Konzentrations-, Koordinations- und Kommunikationsfähigkeit gefragt sein sowie Flexibilität, Teamgeist, Empathie und Lernbereitschaft. Es sind also oft als "weiblich" codierte Kompetenzen, die angeblich den Weg zum Erfolg weisen, auch wenn Männer für vergleichbare Arbeit immer noch mehr Geld bekommen und nach wie vor umso deutlicher in der Mehrheit sind, je höher man in der Hierarchie klettert. Auf der politischen Bühne tummelt sich aber nun seit einiger Zeit wieder sehr erfolgreich ein Typus Mann, der mehr durch lautes Geschrei als durch kommunikative Kompetenz auffällt, mehr durch Schnellschüsse als durch koordiniertes Verhalten, mehr durch Aggressivität und eine ostentativ offensive Haltung des "Das-muss-man-doch-sagen-dürfens" und des "Sich-nehmens-was-einem-zusteht". Gepaart ist diese Haltung mit einer Strategie der Ausgrenzung und Erniedrigung all derjenigen, die dem eigenen Programm und Weltbild zu widersprechen scheinen, sowie mit einer Perspektive auf Frauen, die diese entweder als Freiwild und schmückende Trophäen erscheinen lässt oder zu schutzbedürftigen Wesen erklärt, aber nicht als kompetente Akteurinnen versteht. Es ist eine historisch überholt geglaubte (oder gehoffte) Form von Männlichkeit, die heute wieder lauter als in den zurückliegenden Jahrzehnten einen Anspruch auf Hegemonie erhebt - obgleich sie freilich nie ganz verschwunden war, das zeigt nicht zuletzt die #MeToo-Bewegung. Ihre Attraktivität scheint sich für viele Menschen daraus zu speisen, dass sie dort ein stabiles Zentrum verspricht, wo sich eigentlich Vielfalt und Beweglichkeit als Maximen etabliert hatten und es kein Zentrum und keine Stabilität mehr zu geben schien. Dies gilt für die Geschlechter- und Gesellschaftsordnung insgesamt, denn der Ruf nach mehr Flexibilität hatte die Welt des Wirtschaftens und Arbeitens, der Liebe und des Lebens erfasst. Wenn in den politischen Auseinandersetzungen heute ein solches neues Zentrum beschworen wird, um das die Gesellschaft wieder kreisen solle, dann ist dies in der Regel der "common man" oder eine möglichst homogen gedachte "Leitkultur". Wenn es heißt, den Sorgen der "kleinen Leute" gebühre wieder mehr Aufmerksamkeit, dann steht diese Figur allerdings nicht für diejenigen unterbezahlten Leiharbeiter, deren Vorfahren vor nunmehr bald drei Generationen aus der Türkei nach Deutschland gekommen sind, und auch nicht für die afroamerikanische Mutter, die sich und ihre Kinder mit zwei Aushilfsjobs über Wasser hält. Beschworen wird vielmehr der Untote des biodeutschen bzw. weißen, männlichen, heterosexuellen Arbeiters, der einen (ziemlich) festen Job hat und so seine Familie ernähren kann. Dieser Typus Mann ist zwar schon lange immer weniger existent und schon gar nicht mehr hegemonial in dem Sinne, als dass er den größten Zugriff auf gesellschaftliche Ressourcen verspräche. Er scheint aber doch immer noch als Chiffre für eine Gesellschaftsordnung zu taugen, in der alles und alle ihren festen Platz haben. Historisch wird diese reaktionäre Vision (Lilla 2016) mit der Epoche vor den 1970er Jahren verbunden, als der Kapitalismus noch weniger flexibel war, die Arbeitsplätze noch sicher schienen (zumindest für weiße heterosexuelle Männer), man die globale Armut noch für weit entfernt hielt und die sozialen Bewegungen die gesellschaftliche Ordnung noch nicht vom Kopf auf die Füße gestellt hatten. Wer sich für Männlichkeiten, Geschlecht und deren Analyse interessiert, kann diesen schwierigen politischen Zeiten durchaus etwas abgewinnen. Schließlich ist derzeit (einmal mehr) sehr prägnant erkennbar, welch große Kraft Geschlecht im Allgemeinen und Männlichkeit im Besonderen auf verschiedenerlei Art und Weise in den politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen entfalten. Deutlich wird auch, wie eng Männlichkeits- und Weiblichkeitsentwürfe ineinander verschränkt sind, wie vielfältig konkurrierende Vorstellungen von Männlichkeit sind und wie sie politisch in Stellung gebracht werden. In der Bundesrepublik Deutschland entzündet sich diese Auseinandersetzung gegenwärtig vor allem an der Flüchtlingsfrage, die sich unter anderem durch eine "ambivalente Verflechtung von Rassismus, Sexismus und Feminismus" (Hark/Villa 2017) auszeichnet und in der deutlich wird, wie ein vermeintliches Wissen über die Männlichkeitsprägungen von Fremden politisch instrumentalisiert wird. In diesen Kämpfen gerät auch die Geschlechterforschung selbst immer wieder ins Visier der Reaktionären, denn schließlich hat sie ganz wesentlich dazu beigetragen, diejenige gesellschaftliche Ordnung zu erschüttern, die um ein männlich-hegemoniales Zentrum herum aufgebaut war. Augenscheinlich hat diese Forschung einen empfindlichen Nerv getroffen, und so gesehen ist es kein Wunder, dass "Anti-Genderismus" zu einem Leitmotiv rechtspopulistischer bzw. nationalistischer Gruppierungen hierzulande und darüber hinaus geworden ist (Hark/Villa 2015). Evident ist auch, wie sehr die geschlechterpolitischen Auseinandersetzungen in eine breitere identitätspolitische Konjunktur eingebunden sind, die auch von anderen Kategorien wie Religion, Herkunft oder Hautfarbe gespeist wird. Dabei ist Identitätspolitik nicht mehr nur die Sache von Frauen und gesellschaftlichen Minderheiten, denen es um die Beendigung von Diskriminierung geht, sondern zur dominanten Politikform geworden. Sie ist nun auch das Instrument derjenigen, die sich als marginalisiert oder als Opfer empfinden, die aber meinen, einen natürlichen Platz im gesellschaftlichen Zentrum für sich beanspruchen zu können, bzw. derjenigen, die dieses verbreitete Gefühl unrechtmäßiger Marginalisierung politisch zu nutzen bestrebt sind. Niemand betreibt im Ringen um gesellschaftliche Hegemonie in Deutschland so offensiv Identitätspolitik wie die AfD, niemand tut dies in England so nachdrücklich wie die Brexit-Befürworter, niemand in den USA so aggressiv wie Donald Trump. Ta-Nehisi Coates (2017), einer der führenden US-amerikanischen Intellektuellen, hat Trump deshalb auch "America's first white President" genannt - nicht, weil er der erste wäre, dessen Haut als weiß gelte, sondern weil noch niemand vor ihm das eigene Weißsein so sehr in die politische Waagschale geworfen habe. Wenn also rechtspopulistische oder nationalistische Gruppen die Forderung stellen, man solle sich "das eigene Land zurückholen", dann meint das eben auch die Re-Installierung jener Geschlechterordnung, die die Geschlechterforschung so erfolgreich dezentralisiert hat. Klar ist …
Tief- preis