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Im Unterschied zu Kriegen zwischen Staaten und zu Bürgerkriegen werden tribale Kriege zwischen Dorfgemeinschaften ausgetragen, die noch nicht oder nicht mehr von einer staatlichen Zentralgewalt kontrolliert werden. Anhand von Beispielen unter anderem aus Neuguinea, Amazonien und Ostafrika untersucht Jürg Helbling die Verlaufsformen und Ursachen dieser Kriege. Wird Krieg durch angeborene Aggressivität des Menschen, durch kulturelle Faktoren oder durch Erziehung verursacht? Steckt die Konkurrenz um knappe Ressourcen dahinter oder werden Kriege von politisch ambitionierten Führern angezettelt? Helbling entwickelt eine alternative Theorie des tribalen Krieges, die von Theorien der internationalen Beziehungen und der Spieltheorie inspiriert ist.
"Wer sich über das Thema Krieg informieren will, kommt an dem Buch von Jürg Helbling, Professor für Ethnologie an der Universität Luzern, nicht vorbei. Die Lektüre des gut geschriebenen, in weiten Teilen geradezu spannend zu lesenden Buch ist ein Muss." Gert Scobel, 3sat "Scobel", 12.11.2015
Autorentext
Jürg Helbling ist Professor für Ethnologie an der Universität Zürich.
Klappentext
Im Unterschied zu Kriegen zwischen Staaten und zu Bürgerkriegen werden tribale Kriege zwischen Dorfgemeinschaften ausgetragen, die noch nicht oder nicht mehr von einer staatlichen Zentralgewalt kontrolliert werden. Anhand von Beispielen unter anderem aus Neuguinea, Amazonien und Ostafrika untersucht Jürg Helbling die Verlaufsformen und Ursachen dieser Kriege. Wird Krieg durch angeborene Aggressivität des Menschen, durch kulturelle Faktoren oder durch Erziehung verursacht? Steckt die Konkurrenz um knappe Ressourcen dahinter oder werden Kriege von politisch ambitionierten Führern angezettelt? Helbling entwickelt eine alternative Theorie des tribalen Krieges, die von Theorien der internationalen Beziehungen und der Spieltheorie inspiriert ist.
Leseprobe
Obwohl wir über eine grosse Zahl historischer Daten zum tribalen Krieg verfügen und in den meisten Fällen die ethnographischen Daten zum Thema schon 30 Jahre zurückreichen, sind tribale Kriege nicht Vergangenheit, sondern wie Bürgerkriege und zwischenstaatliche Kriege weiterhin Bestandteil der heutigen Welt. Lizot (1989) und Tierney (2000) berichten, dass die Kriege bei den Yanomami in Amazonien auch während der späten 1990er-Jahre unvermindert weitergingen. Im Hochland von Neuguinea sind sie nach einer 20- jährigen Periode des Friedens seit den 1970er-Jahren an vielen Orten wieder aufgeflackert. In der philippinischen Cordillera wird heute nach einer Schwächung der staatlichen Präsenz in der Region selbst Kopfjagd wieder praktiziert, wie ein Blick in die einschlägige Tagespresse zeigt. In Ostafrika gehen im Kontext diverser Bürgerkriege und einer generellen Schwächung der Staatsgewalt auch Kriege zwischen Koalitionen von Lokalgruppen von Viehzüchternomaden weiter. Weitere Beispiele für tribale Kriege in der Gegenwart könnten angeführt werden. Tribale Kriege sind zwar keine »modernen Kriege« wie konventionelle Kriege zwischen Staaten oder Bürgerkriege; aber es sind dennoch Kriege, die in der Jetztzeit der politischen Staatenwelt und des wirtschaftlichen Weltsystems stattfinden. Die regionalen, nationalen und globalen Kontexte, in denen sie stattfinden, wirken auf indigene Kriege zurück und prägen ihren Charakter mit. Dass tribale Gesellschaften robust sind und sich weder durch das expandierende Weltsystem noch durch die Modernisierungsprozesse in Entwicklungsländern zum Verschwinden bringen liessen, hat jüngst Sahlins (1999) gezeigt. Indigene Bevölkerungsgruppen von heute sind weder sozial desintegriert noch kulturell gleichgeschaltet; vielmehr reagieren sie auf vielfältige Weise auf sich verändernde, äussere Bedingungen, passen sich selektiv an und übernehmen Güter und Ideen, die für sie von Nutzen sind, leisten gegen nachteilige Entwicklungen hingegen Widerstand und leben über weite Strecken »ihr Leben«, wie Sahlins schreibt. Tribale Kriege sind demnach zeitgenössische Kriege, Phänomene der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, die genauso zum heutigen Weltsystem gehören wie »High-tech«-Kriege, Guerillakämpfe, Bürgerkriege, Volksaufstände, Militärputsche und Flüchtlingsbewegungen. Zwar sind tribale Kriege nicht mehr »traditionelle Kriege«, doch diese Kriege waren auch in früheren Zeiten nie »traditionell«; und tribale Bevölkerungsgruppen von heute leben nicht mehr im »ursprünglichen Zustand«, doch ist dieser »ursprüngliche Zustand« ohnehin eine ahistorische Konstruktion. Vielmehr haben Akteure, Gründe, Modalitäten, Konstellationen und Kontexte tribaler Kriege im Verlauf der Zeit variiert. Tribale Kriege haben sich wie die regionalen, nationalen und globalen Kontexte, in denen sie ausgetragen werden, im Verlauf ihrer Geschichte ständig verändert, wie unter anderen Ferguson/ Whitehead (1992) gezeigt haben.6 Es besteht somit eine grosse Variation von tribalen Gesellschaften und Kriegen, wie das auch in staatlichen Gesellschaften und ihren Kriegen der Fall ist. Die Berücksichtigung der historischen Veränderungen jener regionalen Kontexte, in denen tribale Kriege ausgefochten wurden, ist kein Hinweis auf die Antiquiertheit des Gegenstandes, sondern lediglich Resultat der Einsicht, dass jede sozialwissenschaftliche Erklärung immer auch historisch sein muss (Spiro 1967 in Robarchek/Robarchek 1992:196). Erst durch Analyse der historischen Veränderungen und Modifikationen von Krieg werden Muster und Logik des tribalen Krieges sichtbar. Nur durch Berücksichtigung der regionalen Kontexte und historischen Dimension tribaler Kriege lässt sich die Zeitlosigkeit des ethnographischen Präsens überwinden; nur auf diese Weise entpuppen sich allgemeine Aussagen zum Krieg als Beschreibung von Varianten. Nur auf diese Weise ist eine auf Gesellscha
Inhalt
Inhalt Vorwort 13 Einleitung 15 1 Kriege in Gesellschaften ohne Zentralgewalt 15 2 Krieg und Frieden in der Ethnologie 21 3 Zugang und Übersicht 28 4 Aufbau des Buches 31 I Das Phänomen des Krieges 33 1 Krieg und Frieden: Konzepte 34 1.1 Krieg, Gewalt, Fehde und Konflikt 34 1.1.1 Krieg 34 1.1.2 Gewalt und Fehde 37 1.1.3 Konflikt und Krieg 45 1.2 »Primitiver« und »zivilisierter« Krieg 47 1.2.1 »Militärischer Horizont« 48 1.2.2 Merkmale des »primitiven Krieges« 51 1.3 Frieden, Gewaltlosigkeit und Pazifizierung 68 1.3.1 Zwei Konzepte von Frieden 68 1.3.2 Pazifizierungsprozesse 71 2 Kriege und Gesellschaftstypen 74 2.1 Wildbeutergesellschaften 77 2.1.1 Was sind Wildbeuter? 77 2.1.2 Gewalt zwischen Individuen 81 2.1.3 Gibt es Kriege in Wildbeutergesellschaften? 86 2.1.4 Ursachen für das Fehlen von Krieg 106 2.1.5 Archäologische Evidenzen 111 2.2 Tribale Gesellschaften 116 2.2.1 Phänomenologie des tribalen Krieges 124 2.2.2 Archäologische Evidenzen 126 2.3 Aristokratische Staaten 133 2.4 Industriegesellschaften 136 2.5 Koloniale Expansion 139 2.6 Kriegshäufigkeit und Kriegsmortalität 143 2.7 Fazit: Krieg in unterschiedlichen Gesellschaftstypen 149 II Theorien des tribalen Krieges 151 1 Krieg und Natur 154 1.1 Humanethologie 154 1.1.1 Aggression und Aggressionshemmung 155 1.1.2 Gruppeninterne Aggression und Krieg 157 1.1.3 Universalität des Krieges 160 1.1.4 Möglichkeit von Frieden 164 11.5 Fazit: Humanethologie 164 1.2 Soziobiologie 167 1.2.1 Krieg und Kooperation 168 1.2.2 Soziobiologische Theorien des Krieges 170 1.2.3 Knappe Wildbestände bei den Mundurucú 173 1.2.4 Knappe Frauen bei den Yanomami 176 1.2.5 Fortpflanzungserfolg und Krieg bei den Waorani 188 1.2.6 Gewalt bei Wildbeutern 190 1.2.7 Fazit: Krieg und Biologie 192 1.3 Psychologie 196 1.3.1 Frustration und Aggression 197 1.3.2 Psychoanalyse und Krieg 200 1.3.3 Fazit: Krieg und Psychologie 202 2 Krieg und Ökonomie 204 2.1 Krieg und Gleichgewicht des Ökosystems 205 2.1.1 Krieg und lokales Ökosystem bei den Maring 206 2.1.2 Krieg und regionales Ökosystem bei den Maring 216 2.2 Bevölkerungsdichte, Landknappheit und Krieg 221 2.2.1 …