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Die Familie und ihr aktueller Wandel ist nicht nur Thema erhitzter Debatten, sondern ein zentraler Gegenstand der Soziologie. In dieser Einführung geben die Autoren einen Überblick über die Entwicklung der Familie insbesondere in den letzten Jahrzehnten. Sie stellen verschiedene Ansätze der Familiensoziologie vor, von der Sozialisations- bis zur Lebenslaufforschung, und veranschaulichen diese schließlich anhand einzelner Themen wie Familie und soziale Ungleichheit, Familie und Lebenslauf oder den Beziehungen zwischen den Generationen.
Vorwort
Campus Studium
Autorentext
Johannes Huinink ist Professor für Soziologie an der Universität Bremen. Dirk Konietzka ist Professor für Soziologie an der Technischen Universität Braunschweig.
Leseprobe
Familie und Lebensformen haben sich seit der Mitte der 1960er Jahre in Europa erneut gravierend gewandelt. Der Wandel erstreckt sich auf zahlreiche Aspekte und Bereiche des familialen Lebens, er drückt sich sowohl in der demografischen Entwicklung als auch in der Dynamik von Paarbeziehungen und Familienverläufen aus. In praktisch allen europäischen Gesellschaften sind die Heiratsziffern in den letzten Jahrzehnten zurückgegangen und die Scheidungsziffern gestiegen; zugleich haben in vielen Ländern das Alleinleben und nichteheliche Lebensgemeinschaften als Lebensformen zugenommen. Zudem ist die Geburtenrate gesunken, und die Ehe hat als institutioneller Rahmen der Familiengründung und Kindererziehung an Bedeutung verloren. Begleitet waren diese Veränderungen schließlich von einem deutlichen Anstieg des Alters, in dem geheiratet und eine Familie gegründet wird. Der Wandel des Heirats- und Geburtenverhaltens sowie der Familienformen ist in den europäischen Ländern aber keineswegs gleichförmig und in ähnlichem Tempo verlaufen. Er wurde am frühesten, und zwar in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre, in den nordeuropäischen Ländern registriert und setzte einige Jahre später auch in Mittel- und Westeuropa ein. In den südeuropäischen Ländern begann der Wandel der Geburten- und Familiendynamik später und er ist - wenn man von dem drastischen Rückgang der Geburtenhäufigkeit absieht - bis heute weniger umfassend. In den ehemals staatssozialistischen mittel- und osteuropäischen Ländern haben sich in den Jahren nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Regime verstärkt familiendemografische Umbrüche ereignet. Der Wandel von Geburtenverhalten und Lebensformen wird in der Demografie vielfach als Ausdruck eines zweiten demografischen Übergangs Europas betrachtet (vgl. van de Kaa 1987; Lesthaeghe 1992). Aus der Sicht dieses theoretischen Ansatzes ist er die Folge eines kulturellen Umbruchs, der eine umfassende und unwiderrufliche Veränderung des Heirats- und Geburtenverhaltens verursacht hat. Die Frage, ob dieser Wandel überall in Europa erfolgt und durch die gleichen Ursachen geprägt wird, wird allerdings kontrovers diskutiert. Einige Autoren führen die Unterschiede im Ausmaß und der Dynamik des familialen Wandels zwischen den Ländern Europas auf die unterschiedlichen kulturellen Traditionen und institutionellen Rahmenbedingungen der Länder zurück (vgl. Kaufmann u.a. 1997, 2002). In diesem Kapitel stellen wir zunächst empirische Daten zum familiendemografischen Wandel im europäischen und innerdeutschen Vergleich vor, die auch für die familiensoziologische Analyse von elementarer Bedeutung sind (4.1). Wir zeichnen die Hauptlinien des Wandels der Lebensformen und des Geburtenverhaltens in Europa nach und gehen anschließend detaillierter auf einige Aspekte des Wandels der Familienformen in Deutschland ein (4.2). 4.1 Demografische Indikatoren im europäischen Vergleich Eine der wichtigsten europäischen familiendemografischen Datenquellen ist die jährlich fortgeschriebene Veröffentlichung des Europarats Recent Demographic Developments (Council of Europe 2004 und 2005). Sie stellt die Daten der nationalen statistischen Ämter über eine Vielzahl demografischer Ereignisse, darunter Eheschließungen, Scheidungen und Geburten zusammen und gibt damit einen Überblick über zentrale Parameter des Wandels der Familie und Lebensformen. Auf dieser Datengrundlage lassen sich wesentliche Trends des familiendemografischen Wandels in Europa gut darstellen. Der Gebrauch verschiedener statistischer Kennziffern zu den Heirats- und Geburtenraten ist allerdings nicht unproblematisch, wie wir noch verdeutlichen werden. Sie messen häufig nicht das, was sie messen sollen. Die hoch aggregierten Zeitreihen amtlicher Statistiken aus vielen Ländern können darüber hinaus zu Fehlinterpretationen führen, wenn man sich nicht genau anschaut, wie sie zustande gekommen sind. Das folgende Beispiel macht das deutlich: Die Angaben der Recent Demographic Developments zum Erstgeburtenalter in Deutschland beziehen sich nur auf eheliche Geburten, weil es die gesetzlichen Grundlagen der Datenerhebung zu Geburten durch die deutschen Standesämter so festlegen. Ähnliches gilt auch für die Schweiz. Dadurch ist der internationale Vergleich des Alters bei der ersten Geburt im strengen Sinne nicht möglich. Bei der Darstellung zentraler Indikatoren des familiendemografischen Wandels werden wir in diesem Kapitel auf einige Probleme des Gebrauchs dieser Maßzahlen eingehen. 4.1.1 Heirat, Lebensformen und Scheidungen Ein quasi universaler Trend in Europa ist ein immer höheres Heiratsalter. Wie die nachfolgende Tabelle zeigt, ist das durchschnittliche Erstheiratsalter von Frauen seit 1970 in fast allen der hier betrachteten zehn (bzw. elf) Länder gestiegen. Für Deutschland sowie für Schweden gilt das in besonderem Maße. In Ostdeutschland hat das Heiratsalter zwischen 1980 und 2004 um 7 Jahre zugenommen. Auch in den südeuropäischen Ländern Italien und Spanien ist das Heiratsalter gestiegen, allerdings weniger stark. In Polen hat sich das Heiratsalter erst nach 1990 nach hinten verschoben hat. Russland, für das nur Zahlen bis 1998 vorliegen, bildet eine Ausnahme, es ist das einzige hier betrachtete europäische Land, in dem das Heiratsalter im Vergleich zu 1970 nicht gestiegen ist. Die Zunahme des Heiratsalters seit den 1960er Jahren hat vor dem Hintergrund eines historisch niedrigen Ausgangsniveaus stattgefunden (vgl. Kapitel 3.3). Die Nachkriegszeit der 1950er und 1960er Jahre ist als Ausnahmephase oder "Golden age of marriage" in die europäische Sozialgeschichte eingegangen: "Marriage had not been so close to universal nor taken at such an early age in Western Europe for at least two centuries" (Festy 1980: 311). Die Veränderungen im Timing der Heirat im Lebenslauf sagen noch nichts darüber aus, ob die endgültige Heiratsneigung gesunken, also die Institution der Ehe in eine Krise geraten ist. Tatsächlich sind die Anteile der bis zum Alter von 50 Jahren jemals verheirateten Frauen im Vergleich der Geburtsjahrgänge 1950 und 1965 in allen Vergleichsländern gesunken. Am deutlichsten ist der Rückgang in Schweden ausgefallen (von 81 auf 63 Prozent), am geringsten in Spanien (von 90 auf 86 Prozent). Die höchsten Anteile verheirateter Frauen finden sich in der Geburtskohorte 1965 in Polen (88 Prozent). In den mitteleuropäischen Ländern, darunter Deutschland, liegen die entsprechenden Anteile unterhalb von 80 Prozent. Im Vergleich der Jahrgänge 1950 und 1965 haben die länderspezifischen Unterschiede in der Heiratsneigung deutlich zugenommen; in Polen liegt der Anteil der jemals verheirateten Frauen der Kohorte 1965 um 25 Prozentpunkte höher als in Schweden. Die seit den 1970er Jahren beobachtbare Tendenz einer immer späteren Heirat führte in den einzelnen Ländern in recht unterschiedlicher Wiese zu einer Veränderung der Lebensformen der jungen Menschen. Das zeigen die in Tabelle 4.2 präsentierten Ergebnisse von Eurobarometer-Befragungen. Große innereuropäische Unterschiede bestehen in der Verbreitung nichtehelicher Lebensgemeinschaften. Während nur 9 bis 12 Prozent der Frauen im Alter von 26 bis 30 Jahren in Italien, Spanien und Polen in den Jahren…