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Seine visionären Erfahrungen bei Schamanen im südamerikanischen Urwald schildert Jeremy Narby, ein kanadischer Anthropologe. Unter dem Einfluß von Drogen eröffnet sich ihm das Wissen der Indianer: Imaginativ, phantastisch, ganzheitlich symbolisiert als Schlange eröffnen die Drogen- und Trancerituale eine Bewußtseinserweiterung, die zu den Ursprüngen des Lebens, des Kosmos und der modernen Wissenschaften, insbesondere der Molekularbiologie führt.
Autorentext
Jeremy Narby, geboren 1959 in Montreal, wuchs in der Schweiz und in Kanada auf. Studium der Geschichte in England, später der Anthropologie in den USA. Verbrachte zwei Jahre bei Studien im peruanischen Amazonasgebiet bei verschiedenen Indianerstämmen. Lehrt in Stanford Anthropologie; lebt in der Schweiz, Kanada und den USA.
Leseprobe
Auszug aus Kapitel 1: Buschfernsehen
Als mir ein Ashaninca zum ersten Mal erzählte, er hätte sein Wissen über Heilpflanzen dadurch erworben, daß er ein halluzinogenes Getränk zu sich nahm, hielt ich das für einen Witz. Wir waren im Urwald und hockten vor einem Busch, dessen Blätter, wie er sagte, den tödlichen Biß einer Schlange heilen könnten. »Diese Dinge erfährt man, wenn man ayahuasca trinkt«, sagte er und war dabei völlig ernst.
Das spielte sich im Frühjahr 1985 in Peru ab. Ich war fünfundzwanzig Jahre alt und stand am Beginn eines zweijährigen Aufenthalts in der Gemeinde Quirishari im Pichis-Tal am Amazonas. Ich wollte Feldstudien betreiben und damit den Doktortitel in Anthropologie der Universität Stanford (USA) erwerben. Meine Ausbildung hatte mich gelehrt, damit zu rechnen, daß die Leute mir alle möglichen Bären aufbinden würden, und meine Arbeit als Anthropologe sollte darin bestehen, Detektiv zu spielen und herauszufinden, was sie wirklich dachten.
Während der gesamten Zeit meiner Tätigkeit - ich untersuchte die Ökologie der Ashaninca - erwähnten die Menschen in Quirishari immer wieder die halluzinogene Welt der Schamanen oder, wie sie sagten, der ayahuasqueros. Wenn wir über Pflanzen, Tiere, Äcker oder den Wald sprachen, bezogen sie sich immer auf die ayahuasqueros als Quelle ihres Wissens, und jedesmal fragte ich mich, was sie denn tatsächlich damit meinten.
Ich hatte mit Vergnügen mehrere Bücher von Carlos Castañeda gelesen, in denen er beschreibt, wie ein »Yaqui-Medizinmann« mit halluzinogenen Pflanzen verfährt, doch wußte ich auch, daß die Anthropologen Castañeda ablehnen. Sie beschuldigten ihn des Plagiats, der Lüge und der Unglaubwürdigkeit. Zwar hatte man ihm niemals ausdrücklich vorgeworfen, er habe zu wenig Abstand zu seinem Forschungsgegenstand, doch war offensichtlich, daß eine subjektive Betrachtung des Umgangs der Indianer mit Halluzinogenen zu Schwierigkeiten innerhalb der Anthropologie führte. Im Jahr 1985 waren ayahuasqueros für mich eine Grauzone und tabu für die Untersuchung, die ich durchzuführen beabsichtigte.
Es kam noch hinzu, daß meine Untersuchung über den Umgang der Ashaninca mit ihren Ressourcen nicht einfach eine neutrale Arbeit war. Zu Beginn der achziger Jahre hatte die peruanische Regierung mit Unterstützung internationaler Entwicklungsorganisationen Hunderte von Millionen Dollar in die Entwicklung des peruanischen Amazonasgebiets gepumpt. Diese Entwicklung bestand darin, die Felder der eingeborenen Indianer zu konfizieren und sie an einen profitorientierten Unternehmer zu verkaufen. Der neue Besitzer verwandelte den Dschungel in Rinderweiden und nannte das Entwicklung. Diese Siedlungs- und Abholzungsprojekte wurden von Experten mit dem Argument gerechtfertigt, die Indianer seien nicht imstande, ihr Land sinnvoll zu nutzen. Mit meiner Analyse wollte ich das Gegenteil beweisen und aufzeigen, wie sinnvoll die Ashaninca ihre Ressourcen nutzten. Es wäre dem Ziel meiner Untersuchung nicht förderlich gewesen zu betonen, daß die Ashaninca ihr ökologisches Wissen aus Halluzinationen beziehen...
Nach zwei Monaten anthropologischer Feldarbeit erlitt ich einen unerwarteten Rückschlag. Ich hatte Quirishari verlassen und war für zehn Tage nach Lima gefahren, um mein Visum erneuern zu lassen. Bei meiner Rückkehr wurde ich mit offensichtlicher Gleichgültigkeit empfangen. Am nächsten Tag gab es eine informelle Versammlung vor dem Haus, in dem ich wohnte, und die Leute fragten mich, ob es wahr sei, daß ich in meine Heimat zurückkehren und dort Arzt werden würde. Diese Frage überraschte mich, denn ich hatte ihnen als meinen künftigen Beruf Anthropologe genannt und hatte es vermieden, Doktor zu sagen, um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen. Es stellte sich heraus, daß ein paar Angestellte des Pichis-Palcazu-Sonderprojekts - des Entwicklungsprojekts der Regierung - in meiner Abwesenheit nach Quirishari gekommen waren. Sie hatten gefragt, was ich denn so täte, und die Leute hatten ihnen meinen Karteikasten mit Heilpflanzen gezeigt. Daraufhin waren sie von den Projektangestellten als naive Eingeborene beschimpft worden: Merkten sie denn nicht, daß ich Doktor werden und mit ihren Pflanzen ein Vermögen verdienen würde?
Ich hatte tatsächlich diese Pflanzen gesammelt, um nachzuweisen, daß der Regenwald, der den Experten vom Flugzeug aus so ungenutzt vorkam, den Ashaninca unter anderem auch als Apotheke diente. Das hatte ich den Bewohnern von Quirishari gleich zu Beginn meines Aufenthalts erklärt. Mir war jedoch klar, daß jeder weitere Erklärungsversuch sie in ihrem Mißtrauen nur bestärken würde, denn ich wollte ja tatsächlich Doktor werden. Deshalb schlug ich vor, mit dem Sammeln von Heilpflanzen aufzuhören und den strittigen Karteikasten der örtlichen Grundschule zu übergeben. Damit war die Angelegenheit erledigt, und die Spannung, die in der Luft lag, löste sich auf - doch mir entzog dieser Vorfall einen Teil meiner empirischen Basis und damit den Beweis für meine These von der sinnvollen Nutzung der Ressourcen bei den Ashaninca.
Nach vier Monaten Feldstudien verließ ich Quirishari, wanderte sieben Meilen durch den Busch und besuchte die Nachbargemeinde Cajonari. Die Einwohner von Cajonari hatten durchblicken lassen, es sei nicht fair, daß Quirishari ein Exklusivmonopol auf diesen Anthropologen hätte, der Buchhaltungsunterricht erteilte. Mein Buchhaltungsunterricht war allerdings mehr ein formloser Unterricht im Rechnen, den ich auf Bitten der Gemeinde erteilte.
Die Menschen in Cajonari begrüßten mich herzlich. Wir verbrachten ein paar Abende damit, Geschichten zu erzählen, für meinen Recorder zu singen und Maniokbier zu trinken, eine milchige Flüssigkeit, die wie vergorene Kartoffelsuppe schmeckte. Tagsüber wurde gerechnet und in den Gärten gearbeitet, und vor allem wurden die am Abend vorher aufgenommenen Gesänge abgehört: Jeder wollte sich singen hören.
Eines Abends saß ich mit einem halben Dutzend Männer vor dem Haus. Wir tranken Maniokbier und schwatzten, während die Dämmerung herabsank. Das Gespräch drehte sich um Entwicklung, ein tägliches Thema im Tal, seit die Regierung das Pichis-Palcazu-Projekt mit einem sechsundachzig Millionen Dollar-Budget gestartet hatte. Dabei brachten die Ashaninca meist ihre Frustration zum Ausdruck, denn die Projektleute erklärten ihnen ständig, sie seien nicht imstande, für einen Markt zu produzieren, während doch ihre Gärten voll von verkäuflichen Produkten standen und sie alle davon träumten, ein bißchen Geld zu machen.
Wir sprachen über die Unterschiede zwischen modernen Anbaumethoden und denen der Ashaninca. Mir war bereits klar geworden, daß trotz des scheinbaren Durcheinanders die Gärten der Indianer wahre Meisterwerke der Pflanzenvielfalt waren. Bis zu siebzig verschiedene Pflanzen wuchsen da chaotisch, aber friedlich bunt durcheinander. Bei unserem Gespräch lobte ich ihre Methode und brachte mein Erstaunen über ihre exzellenten botanischen Kenntnisse zum Ausdruck. Schließlich fragte ich: »Wie habt Ihr das denn alles gelernt?«
Darauf erwiderte ein Mann namens Ruperto Gomez: »Weißt Du, Freu…