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Welche Rolle spielt Sprache für eine kritische Theorie? Die Beiträger beantworten diese Frage vor dem Hintergrund gegenwärtiger Diskussionen in der Sprach- und Sozialphilosophie. Sie zeichnen so ein Bild epistemologischer, kommunikativer, sozialer und normativer Gefahren und Potenziale der Sprache.
Mit Beiträgen von Robert B. Brandom, Alexander G. Düttmann, Martin Seel u.a.
Vorwort
Frankfurter Beiträge zur Soziologie und Sozialphilosophie
Hg. von Axel Honneth im Auftrag des Instituts für Sozialforschung, Frankfurt am Main
Autorentext
Philip Hogh, Dr. phil., ist wiss. Mitarbeiter am Institut für Philosophie der Universität Oldenburg.
Stefan Deines, Dr. phil., ist Postdoctoral Fellow an der University of Macau.
Leseprobe
Vorwort
Mit der kommunikationstheoretischen Wende, die Jürgen Habermas vor nunmehr beinahe vierzig Jahren der Kritischen Theorie gegeben hat, ist die Form und Verfasstheit unserer Sprache zu einem zentralen Gegenstand dieser heute maßgeblich von ihm repräsentierten Tradition geworden. Allerdings wäre es falsch, daraus zu schließen, die menschliche Sprache hätte seine Vorgänger überhaupt nicht oder nur am Rande beschäftigt; von den frühen Texten Theodor W. Adornos und Walter Benjamins bis hin zu einigen Ausführungen des späten Max Horkheimer zieht sich eine kontinuierliche Linie durch das Schrifttum dieser Schule, an der unschwer zu erkennen ist, dass die sprachliche Verfasstheit unserer Beziehung zur Welt immer schon ein wesentlicher Gegenstand ihrer kritischen Bemühungen gewesen ist. Gewiss, die Stellung und die Rolle der Sprache hat sich im Laufe der intellektuellen Entwicklung der Kritischen Theorie erheblich verändert; galt sie in den Anfängen eher als das Medium, das uns aufgrund seiner begrifflichen Struktur einen qualitativen Zugang zur Wirklichkeit zu versperren droht, so wird sie mit Habermas kraft ihres kommunikationsstiftenden Vermögens zum Träger und Garanten moralischer Ansprüche unter den Menschen. Aber dieser Bedeutungswandel ändert nichts daran, dass die Beschaffenheit und der historische Zustand der menschlichen Sprache von Beginn an ein untergründiges Schlüsselthema der Frankfurter Schule gebildet hat: ob nun in Reflexionen über den angemessenen Stil der eigenen Schriften oder in sachbezogenen Abhandlungen, der Sprache waren viel mehr Arbeiten gewidmet, als man lange Zeit angenommen hatte.
Es ist das große Verdienst der beiden Herausgeber des vorliegenden Bandes, Philip Hogh und Stefan Deines, den damit umrissenen Spannungsbogen zum Thema einer Konferenz gemacht zu haben, deren wesentliche Beiträge sich hier versammelt finden. Zum ersten Mal wird in diesem Sammelband, wenn ich es richtig sehe, die Sprache in ihrer vielfältigen Bedeutung für die Kritische Theorie im Gesamtzusammenhang erörtert; was bislang nur gesondert abgehandelt wurde, sei es die Begriffskritik Adornos, die Sprachmystik Benjamins oder die Diskursethik von Habermas, wird darin aufeinander bezogen und damit als ein Geflecht von untergründigen Querverweisen erkennbar. Was im Lichte einer solchen Zusammenschau zutage tritt, dürfte mit Blick auf die intellektuelle Geschichte der Kritischen Theorie tatsächlich etwas Neues beinhalten: dass nämlich die Sprache nicht einen beliebigen Gegenstand des einen oder anderen Vertreters der Frankfurter Schule darstellt, sondern sie eines ihrer thematischen Zentren bildet, weil sich an ihr wie an kaum einem anderen Medium die Möglichkeiten und Grenzen unserer Bemühungen um eine vernünftige Einrichtung der Welt spiegeln; an der jeweiligen Verfassung unseres sprachlichen Weltbezugs soll sich im Guten oder im Schlechten ablesen lassen, wie es um unsere gesellschaftlichen Beziehungen bestellt ist. Es ist diese These, die die beiden Herausgeber in ihrer Einleitung als roten Faden benutzen, um daran Absicht und Inhalt des Bandes zu erläutern; die Umsicht und Genauigkeit, die sie dabei walten lassen, erübrigt es, ihren Ausführungen noch weitere einführende Bemerkungen zur Seite zu stellen. Mir bleibt nur, Philip Hogh und Stefan Deines an dieser Stelle für ihre Initiative zu danken; zudem dürfte es keine leichte Aufgabe gewesen sein, die Beiträge der von ihnen organisierten Konferenz kritisch durchzusehen und für den in unserer Reihe veröffentlichten Aufsatzband zusammenzustellen. Dessen Bedeutung für eine Vergewisserung über Aufgabe und Stand der Kritischen Theorie dürfte außer Frage stehen.
Axel Honneth
Frankfurt am Main, im Januar 2016
Sprache und Kritische Theorie.
Zur Einleitung
Philip Hogh und Stefan Deines
Für die Geistes- und Sozialwissenschaften im Allgemeinen und für die Philosophie im Besonderen ist die Sprache im 20. Jahrhundert zu einem der zentralen Begriffe geworden. Der durch Frege und die frühe analytische Philosophie angestoßene linguistic turn ließ in der Folge kaum eine geistes- und sozialwissenschaftliche Disziplin und kaum eine Richtung der Philosophie unberührt. Ludwig Wittgensteins Früh- und Spätphilosophie, der Wiener Kreis, Ferdinand de Saussure und der Strukturalismus, Martin Heideggers Fundamentalontologie, Hans-Georg Gadamers Hermeneutik, John L. Austins Sprechakttheorie, Jacques Derridas Dekonstruktion, Judith Butlers Gendertheorie sowie die verschiedenen Spielarten der (post)analytischen angloamerikanischen Philosophie etwa von Donald Davidson, Richard Rorty, Robert B. Brandom oder John McDowell - all diese höchst unterschiedlichen philosophischen Ansätze gewinnen ihre Spezifik durch eine Auseinandersetzung mit der Rolle der Sprache für die menschliche Lebensform.
Spätestens mit der 1981 von Jürgen Habermas veröffentlichten Theorie des kommunikativen Handelns wurde auch in der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule die Wende zur Sprache in dem Sinne vollzogen, dass Sprache von nun an nicht mehr nur allein als ein Gegenstand unter vielen Gegenständen der Kritischen Theorie erschien, sondern ihre Grundlage darstellte. Nach dem von Habermas explizit als solchen bezeichneten Paradigmenwechsel von der Bewusstseins- zur Sprachphilosophie sollte sich die Kritische Theorie an den normativen Strukturen der Sprache und kommunikativer Handlungen orientieren, um die Maßstäbe der Gesellschaftskritik auszuweisen. Habermas ging es darum, im gesellschaftlichen Leben neben all den Fehlentwicklungen und Deformationen, die die ältere Kritische Theorie Theodor W. Adornos, Walter Benjamins, Max Horkheimers und Herbert Marcuses aufgedeckt und kritisch beschrieben hat, im Sprechen als Grundlage des gesellschaftlichen Austausches eine Form unhintergehbarer Vernünftigkeit auszumachen, die von nun an als Maßstab der Kritik gelten konnte. Es gelang ihm so nicht nur, die Frage nach der Möglichkeit von Kritik nach dem von Adorno und Horkheimer pessimistisch festgestellten "universalen Verblendungszusammenhang" (Adorno 1997 wieder positiv zu beantworten, sondern es war aus seiner Sicht nun auf einer erneuerten Grundlage auch möglich, die Kritische Theorie an aktuelle Fragen der philosophischen und sozialwissenschaftlichen Forschung anzuschließen.
Doch auch vor dieser kommunikativen Wende war Sprache in den Schriften der Vertreter der älteren Kritischen Theorie bereits ein durchaus präsentes und bedeutsames Thema. Zwar fungiert Sprache bei Adorno, Benjamin und Horkheimer nicht explizit als die Dimension gesellschaftlicher Realität, durch deren rationale Rekonstruktion sich ein normativer und rationaler Maßstab der Kritik gewinnen ließe. Aber sie spielt in den verschiedenen Ansätzen sowohl in der Erkenntnis- und Gesellschafstheorie als auch in der Geschichts- und Kunstphilosophie eine zentrale Rolle, einerseits - negativ - als potentielle Quelle von Ideologie, Unterdrückung und Verdinglichung, andererseits aber auch - positiv - als normative Bezugsgröße und Medium von Kritik. Von Benjamins Über die Sprache überhaupt und über die Sprache des Menschen und Die Aufgabe des Übersetzers über die in Auseinandersetzun…