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"Als Jude hat man gewisse Vorteile, wenn man versucht, die Evangelien zu verstehen." - so beginnt Maccoby sein Werk, das nicht zufällig so lange vergriffen war und nun von uns wiederaufgelegt wird; und in der Tat, die im Neuen Testament so breitgetretene Feindschaft zwischen Jesus und "den Pharisäern" erweist sich bei der einem Juden selbstverständlichen Kenntnis des Sachverhalts als völlig widersinnig und erklärungsbedürftig, ebenso wie die Merkwürdigkeit, daß in einer Zeit des heroischsten Widerstandskampfes der Juden gegen ihre römischen Besatzer letztere bei allen Aposteln so penetrant gut wegkommen. Wie Maccoby diesen Fragen nachgeht, Schicht um Schicht aus den, wie sich erweist, haarsträubend verlogenen Evangelien die historisch plausibelste Annäherung an die Wahrheit erschließt, liest sich nicht nur spannend wie ein Kriminalroman, es wird zugleich klar, warum die "jüdische Sekte" (wie sie von den christlichen Inquisitoren im Mittelalter genannt wurde), die angeblich den Gründer des Christentums auf dem Gewissen hat, von ihrem Ableger so barbarisch wie unbarmherzig verfolgt wurde. Wenn die Jesusfigur überhaupt einen historischen Kern hat, was keineswegs sicher ist, hat ihn Maccoby, wie ein literarischer Schliemann streng den historischen Quellen folgend, freigelegt. Hyam Maccoby war Altertumsgelehrter, Reform-Rabbiner und leitete zuletzt die Bibliothek am Leo Baeck College für Judaistik in London.
Autorentext
Dipl.-Psych. Dr. Fritz Erik Hoevels ist Psychoanalytiker in Freiburg im Breisgau. Hauptwerk: Marxismus, Psychoanalyse, Politik. Zahlreiche Aufsätze in den Fachzeitschriften Praxis der Psychotherapie, System ubw und Hermes. Seine Gesammelten Aufsätze zur Psychoanalyse der Religion (Erstveröffentlichung: freethought international/Indian Atheist Publishers) wurden in fünf Kultursprachen übersetzt, darunter Englisch, Chinesisch und Russisch.
Fritz Erik Hoevels gründete 1974 die MRI (Marxistisch-Reichistische Initiative = Bund gegen Anpassung). Prof. Dr. Hyam Maccoby (1924 - 2004), Altertumswissenschaftler und lange Zeit Dozent und Leiter der Bibliothek an der Rabbiner-Hochschule Leo Baeck College (London), wurde bekannt als Lektor, Kritiker und Erforscher der Entstehung und historischen Dynamik des Christentums ebenso wie des Judentums. Der kürzlich verstorbene Maccoby war Professor für Altertumskunde mit Schwerpunkt Judaistik an der Universität Leeds.
Leseprobe
Eine der wichtigsten Erkenntnisse der Sozialpsychologie, in langen Experimentserien gewonnen von US-amerikanischen Psychologen der späten fünfziger und frühen sechziger Jahre und Kind der praktischen Bedürfnisse des Kalten Krieges , besagt, daß die wirksamste Bekämpfung unerwünschter Meinungen und Einsichten darin besteht, sie nicht etwa noch so geschickt argumentativ anzugreifen, sondern sie vielmehr möglichst sachlich und sogar recht zutreffend von einer Person referieren zu lassen, die als deren Gegner bekannt ist. Mit der üblichen Verzögerung von etwa einer Dekade schlug sich diese Erkenntnis auch praktisch in den Lehrplänen der Vasallenstaaten nieder, und so stellten Lehrer, die nicht gerade als DKP-Mitglieder oder gar K-Grüppler bekannt waren (diese waren ja auch sofort Säuberungen zum Opfer gefallen), manchmal gar nicht so falsch die Lehre von Marx und Engels dar, und Pfaffen referierten halbrichtig die Erkenntnisse Freuds. Wer kann sich aus seiner Schülerzeit nicht an dieses ca. seit 1965 beobachtbare Phänomen erinnern? Inzwischen gewinnt eine andere Gruppe ideologisch unerwünschter Erkenntnisse Popularität ein Stoff, von dem man meinen müßte, daß niemals ein christlicher Berufspropagandist auf den Gedanken käme, ihn anders als polemisch zu behandeln, entzieht er seiner Existenz doch die logische Grundlage aber siehe da. : die Herausschälung des historischen Kerns der christlichen Jesusfigur, ein Kern, der mit dieser mythologischen Gestalt keine größere Ähnlichkeit oder innere Verbindung aufweist, außer der Namensgleichheit und ein paar dogmatisch irrelevanten biographischen Restbeständen, als etwa mit Krischna oder Zeus. Diese Erkenntnisse sind ansatzweise schon recht alt, gehen teilweise auf das ja auch sonst so vorbildliche 19. Jahrhundert zurück, sind aber erst in den letzten zwei Jahrzehnten systematisch ausgearbeitet, gefestigt und vor allem verbreitet worden. Sie besagen hauptsächlich, daß sich die christliche Jesusfigur aus einem durchaus realen, aber in seinem Charakter gänzlich entgegengesetzten Kern entwickelt hat, nämlich aus einem eher unbedeutenden, radikal-militanten Pharisäerführer namens Jeschu (oder ähnlich) mit mehr oder weniger ernstgemeinten messianischen Ansprüchen. Dieser Jeschu wurde in einer höchst einschneidenden Metamorphose zur Grundlage des mythischen Jesus der Christen, welcher bekanntlich Pazifist, Internationalist und Anti-Pharisäer gewesen sein soll, von seinen aus allen möglichen Mythologien kunterbunt zusammengeklauten Wundertaten und metaphysischen Eigenschaften ganz zu schweigen, während der wirkliche Jeschu ein höchst kriegerischer Römerfeind, Pharisäer und jüdischer Nationalist gewesen ist, vielleicht persönlich ziemlich überspannt, aber niemals auf eine übernatürliche Genealogie u.ä. erpicht und in jeder Hinsicht eher ein verhinderter Bar Kosiba/Kochba oder etwas wie ein heutiger Hisbollah-Extremist als ein pazifistischer Träumer oder sanftmütiger Internationalismus-Prediger. Dies wesentlich klarer, konsequenter und geschlossener herausgearbeitet zu haben als jeder 'progressive' christliche Theologe der Gegenwart, der unterschiedlich viel davon inzwischen ja auch schon zugibt und dafür dosierten Ärger mit seinem Bischof bekommt, aber kaum je ein überzeugendes Gesamtbild und Zeitbild vorführen kann, ist das Verdienst des Londoner Reform-Rabbiners und Altertumsgelehrten Hyam Maccoby. Seine besondere Stärke liegt darin, Jesus nicht als isolierte Kultfigur zu betrachten, die es zu demontieren oder zu verteidigen gilt, sondern auf dem Hintergrund seiner geschichtlichen Situation zu rekonstruieren und da gelingen ihm bei sorgfältiger, niemals einseitiger Nutzung des nun wahrlich dürftigen und verzerrten Quellenmaterials überraschende Funde, die uns die wahrscheinlich genaueste Annäherung an den historischen Kern der christlichen Mythen erlauben, die überhaupt möglich ist. Sie widerspricht dem von diesen Mythen gezeichneten Bild in verblüffender Weise. Nur um diesen historischen Kern geht es Maccoby (dem es ansonsten auch noch, in einem leider nur auf englisch vorliegenden Buch, gelungen ist, dem Geheimnis des verworrenen Mythos von Kain und Abel auf die Spur zu kommen, der ursprünglich und mehrheitlich ja keineswegs judenfeindlich konzipierten Sagenfigur des Ewigen Juden und manch anderem, vor allem klassisch Biblischem, mehr). Der Frage nach hellenistischer Beeinflussung schon des historischen Jesus, erst recht der Unzahl hellenistischer Legenden und Mythologeme, die in den Evangelien über ihn wuchern, geht er höchstens am Rande nach; wer darüber Bescheid wissen will, findet sorgfältige Untersuchungen dazu am ehesten in zwei ebenfalls vorzüglichen Büchern Morton Smith' und Karlheinz Deschners. Aber den historischen Kern des legendären Wustes erschließt Maccoby, soweit ich sehe, wie kein anderer. Ebenso überzeugend gelingt ihm die Vorführung des haarsträubend verlogenen Charakters der Evangelien; ihr durch skrupelloseste Tatsachenverdrehung erzieltes Wesen als antijüdische heute hieße es: antisemitische Tendenzschriften, das nahezu jeden ihrer Sätze durchzieht. Auch dieser Zug ist aus der historischen Situation ableitbar. Um diese schlagwortartig zu umreißen: nicht alle unterjochten und ausgeplünderten Völker waren mit der 'Pax Romana', der neuen Weltordnung der mediterranen Antike, sonderlich zufrieden. Unter ihnen stachen besonders zwei hervor, mit denen sich der antike Anti-Imperialist identifizieren konnte: Griechen und Juden. Während die Griechen jeden praktisch…
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