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Im Mittelpunkt dieses Bandes steht die Untersuchung von Defizitzuschreibungen gegenüber Herrscherinnen und Herrschern in der Frühen Neuzeit. Diese erlaubt Rückschlüsse auf zeitgenössische Konzeptionen und Rechtfertigungen von Souveränität, deren Behauptung und Durchsetzung, Kontinuität und Wandel. Wie wurden auf verschiedenen Ebenen Herrscherdefizite kommuniziert und bewältigt? Und welche Folgen hatte das für die politische Ordnung?
Autorentext
Lena Oetzel ist Universitätsassistentin am Fachbereich Geschichte der Universität Salzburg. Kerstin Weiand ist Akademische Rätin auf Zeit am Fachbereich Neuere Geschichte an der Universität Marburg.
Leseprobe
Vorwort der Herausgeberinnen Der vorliegende Sammelband geht auf eine Tagung zurück, die am 5. und 6. März 2015 am Exzellenzcluster "Normative Orders" in Frankfurt am Main stattfand. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus sieben europäischen Ländern diskutierten hier die Frage, wie Defizite, die individuellen Herrscherinnen und Herrschern in der Frühen Neuzeit zugeschrieben wurden, kommuniziert wurden und welche Bedeutung und Folgen ihnen im Kontext von Personalisierung und Institutionalisierung frühneuzeitlicher Herrschaft zukam. Die Diskussion wurde belebt und angeregt durch den interdisziplinären Dialog vertreten durch Geschichtswissenschaften, Literaturwissenschaften und Kunstgeschichte. Für das große Engagement und die äußerst angenehme Atmosphäre wollen wir uns an dieser Stelle bei allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern herzlich bedanken! Für die Drucklegung konnten wir über den Kreis der Tagungsteilnehmenden hinaus erfreulicherweise weitere Autorinnen und Autoren für unser Thema interessieren und dafür gewinnen, sich mit eigenen Beiträgen an der Publikation zu beteiligen. Dies hat die Perspektive insgesamt nochmals verbreitert. Möglich gemacht wurde die Tagung durch die Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Universität Salzburg sowie des Exzellenzclusters "Normative Orders", das uns zudem einen ganz wunderbaren Rahmen für die Durchführung der Tagung bot. Herrn Prof. Dr. Rainer Forst und Herrn Prof. Dr. Klaus Günther danken wir für die Aufnahme des Sammelbandes in die Publikationsreihe des Exzellenzclusters "Normative Orders". Die Zusammenarbeit mit der Wissenschaftlichen Koordinatorin des Clusters, Frau Rebecca Schmidt, und mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Clusters, insbesondere Herrn Michael Graf, war sehr angenehm und konstruktiv. Daneben wollen wir noch weiteren Personen danken, die an der Drucklegung mitgewirkt haben, insbesondere Tobias Reichert und Joel Hüsemann von der Philipps-Universität Marburg sowie Susanne Höll und Valerie Stejskal von der Universität Salzburg. Die Zusammenarbeit mit der Lektorin des Campus-Verlags, Frau Isabell Trommer, war eine Freude. Marburg und Salzburg, den 25.10.2017 Defizitäre Souveräne: Herrscherlegitimationen im Konflikt Lena Oetzel und Kerstin Weiand Die Diskrepanz zwischen den von der Ideengeschichte vielfach beschriebenen Bestrebungen in der Frühen Neuzeit, rechtlich eindeutige Kategorien von Herrschaft und Souveränität zu etablieren einerseits und den legitimatorischen Ambivalenzen von Souveränität auf der Ebene praktischer Herrschaftsausübung andererseits, bildet den Ausgangspunkt dieses Sammelbandes. Im Zentrum steht die Frage, ob und wenn ja wie mangelnde Eindeutigkeit von Souveränität im praktischen wie symbolischen Vollzug von Herrschaft kompensiert wurde. Der Band verlegt die Frage nach der Souveränität damit von den Gipfeln eines ideengeschichtlichen Metadiskurses in die Niederungen konkreter Herrschaftspraxis und fragt nach den Interdependenzen zwischen beiden Ebenen. Er geht davon aus, dass Souveränität mittels Rechtfertigungsnarrativen sichtbar gemacht und kommuniziert werden musste, um Geltung beanspruchen zu können. Nach allgemeinem Geschichtsverständnis zielte die sich seit dem 16. Jahrhundert entwickelnde (natur-)rechtliche Souveränitätslehre, häufig vor dem Hintergrund politischer Krisenerfahrungen, auf die eindeutige Bestimmbarkeit herrscherlicher Autorität. Hier werden die Wurzeln eines Begriffs verortet, der noch heute unsere Kategorien von Politik bestimmt und dessen Genese als eine stringente Abfolge von Denkschritten - beginnend mit Machiavelli oder spätestens mit Bodin - gezeichnet wird. Diese postulierte Eindeutigkeit auf rechtlich-theoretischer Ebene freilich kontrastiert mit einer Ambiguität von Souveränität in der politischen Praxis. Dies betraf in besonderem Maße solche Fürsten, deren rechtliche Legitimation möglicherweise unbestritten, deren Autorität, das heißt die Anerkennung und Akzeptanz ihrer Herrschaft, gleichwohl problematisch bzw. umkämpft war. Ursache hierfür ist nicht zuletzt das Fortbestehen eines personalisierten Verständnisses von Herrschaft. Dem lagen strukturelle und kulturelle Faktoren zugrunde, die die Person des Fürsten in zentraler Weise mit der Herrschaftsausübung verbanden. Zum einen waren persönliche Netzwerke und Loyalitätsbeziehungen, in die der Herrscher eingebunden war, ein wesentliches Element frühneuzeitlicher Herrschaftsausübung. Zum anderen mussten Herrschaft und Souveränität jenseits abstrakter Kategorien individuell sichtbar und erfahrbar gemacht werden, um Geltung beanspruchen zu können. Dem Postulat einer philosophisch-rechtlichen Konzeption von Souveränität und Herrschaft als abstrakter, eindeutig zu definierender Kategorie stand entsprechend die konkrete, häufig uneindeutige, oft ambivalente Herrschaftspraxis gegenüber. Herrschaft als ordnungsbasierte Form von Machtausübung beruht auf der Akzeptanz der sie begründenden normativen Ordnung. Diese normative Ordnung basiert wiederum auf Rechtfertigungsnarrativen als "Ressource der Ordnungssinngebung" . Sie besitzen einen dynamischen Charakter, können angepasst und transformiert bzw. durch Gegennarrative hinterfragt und abgelöst werden. In einem personalisierten Vollzug von Herrschaft musste die für die Herrschaftsausübung notwendige Autorität entsprechend im Einzelfall mittels Rechtfertigungsnarrativen hergestellt und behauptet werden. In diesem Zusammenhang spielten persönliche Defizite, d.h. das Nichtgerechtwerden gegenüber einer implizit oder explizit angeführten Norm eine zentrale Rolle. Defizite, die der Person des Herrschers oder der Qualität seines dynastischen Anspruchs zugeschrieben wurden, konnten seine Autorität beeinträchtigen. Weibliches Geschlecht, mangelnde Fertilität, Konfessionsdivergenzen sowie fehlende oder beeinträchtigte dynastische Kontinuität - Alltagsphänomene im frühneuzeitlichen Fürstenstaat - konnten als Ansatzpunkte dienen. Entsprechend erlaubt die Untersuchung von Defizitzuschreibungen im Rahmen von Herrschaft Rückschlüsse auf zeitgenössische Konzeptionen und Rechtfertigungen von Souveränität, deren Behauptung und Durchsetzung, Kontinuität und Wandel. Legitimationskrisen und Autoritätskonflikte - gerade auch unterhalb der Ebene offener Eskalation und Rebellion - geben Einblicke in zeitgenössische politische Denkmuster. Gerade die in diesen Kontexten artikulierten Defizitzuschreibungen bieten nämlich ex negativo einen wichtigen Zugang zur zeitgenössischen Wahrnehmung und dem Vollzug sowie der normativen Begründung von Souveränität. Allein durch den Blick auf philosophisch-rechtliche Schriften ist dies freilich nicht möglich. Vielmehr sind für ein vertieftes Verständnis frühneuzeitlicher Denkrahmen detaillierte und kontextbezogene Einzelstudien zu Durchsetzung und gegebenenfalls Scheitern von Souveränitätsansprüchen in der Herrschaftspraxis unabdingbar. Diskutiert wird in den einzelnen Beiträgen des Sammelbandes, wie auf verschiedenen Ebenen Defizite von Herrschern kommuniziert und bewältigt wurden. Diese werden nicht nur benannt, sondern es wird nach dem Umgang mit diesen im praktischen und symbolischen Vollzug von Herrschaft gefragt. Dem liegt die Prämisse zugrunde, dass es sich bei diesen Defiziten nicht um feststehen…