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Rufe nach langen Haftstrafen und nach der Rücknahme von Hafterleichterungen finden immer mehr Resonanz in westlichen Gesellschaften. Hinzu kommen Forderungen nach verstärkter Kontrolle, etwa nach einer öffentlichen Kartei von Sexualstraftätern oder dem staatlichen Einblick in private Festplatten. Wie kam es dazu und wohin führt ein solch rigoroser Umgang mit Kriminalität und Straftätern?
Vorwort
Ausgrenzung statt Resozialisierung
Autorentext
David Garland ist bekannt als Gesellschaftsanalytiker und Strafrechtskritiker. Er ist Professor für Soziologie und Recht an der New York University.
Leseprobe
Es gehört zu den kaum zu überschätzenden Wirkungen des Werkes von Michel Foucault, dass es auf dem Gebiet der Sozialwissenschaften einige Autoren dazu hat ermutigen können, sich jenseits des kleinteiligen Betriebes erneut der Aufgabe einer umfassenden, disziplinübergreifenden Diagnose der Gegenwart zuzuwenden. Diese Soziologinnen und Soziologen folgen dem methodischen Vorgehen Foucaults nicht bis in alle Einzelheiten, ja sie sind weit entfernt davon, seine eigenwillige Herangehensweise und den häufig provokanten Stil einfach nur bewundernd zu imitieren; aber was sie sich im Laufe der Jahre zu eigen gemacht, was sie von seiner Theorie übernommen haben, ist die leicht verfremdende Perspektive, die künstlich geschaffene Halbdistanz, aus der heraus er darangegangen ist, weit voneinander entfernt liegende Praktiken, Wissenskomplexe und Institutionen miteinander in Beziehung zu setzen und als Elemente einer in sich spannungsreichen Epoche der gesellschaftlichen Entwicklung zu analysieren. Natürlich bedarf es, um ein solches Verfahren produktiv im Sinne einer Ethnologie der kulturellen und sozialen Eigenarten eines ganzen Zeitraums anwenden zu können, einer Reihe von weiteren theoretischen Fähigkeiten, über die Foucault souverän verfügte: Zur Sensibilität für bislang verborgene Zusammenhänge müssen mindestens ein Gespür für relevante Dokumente und Zeugnisse, die Energie zum Durchstöbern von unübersichtlichen Archivbeständen und die Gabe zur Stilisierung großflächiger Praxis- und Wissensformationen hinzukommen. Finden aber alle diese Begabungen einmal zusammen, so ist es sehr wohl möglich, die von Foucault praktizierte Methode als eine Anweisung zu benutzen, um aus dem Blickwinkel des Fremden die sozialen, kulturellen und epistemischen Voraussetzungen einer ganzen Epoche zu erfassen. Dem Autor der vorliegenden Studie, dem amerikanischen Soziologen David Garland, ist das Kunststück gelungen, das damit umrissene Verfahren in einer empirisch kontrollierten Weise für sein eigenes Forschungsfeld fruchtbar zu machen. Schon seit langem interessiert sich Garland, der von Haus aus Kriminologe ist, für die beinahe unmerklichen Wandlungen, die sich seit dem Beginn der Moderne auf dem Gebiet der Verbrechenskontrolle und Strafjustiz vollzogen haben; wie einige Klassiker seines Faches, allen voran Émile Durkheim, ist er der Überzeugung, dass sich an den historischen Veränderungen in den Formen der Strafpraktiken wie in einem Brennspiegel die gesellschaftlichen Transformationsprozesse im Ganzen studieren lassen. Den Forschungen, die Garland in diesem Rahmen durchgeführt hat, verdanken wir ein brillantes Buch über die Herausbildung des Strafsystems, das im Zentrum des wohlfahrtsstaatlichen Kapitalismus stand und auf der Idee der Resozialisierung des Straftäters gründete (Garland 1985a). Die grundlegenden theoretischen Konzepte und den begrifflichen Rahmen hat Garland dann in einer umfangreichen Auseinandersetzung mit klassischen Autoren der Soziologie der Kriminalität fortentwickelt (Garland 1990). In diesem weite Aufmerksamkeit erregenden Buch findet sich auch eine luzide Rekonstruktion der Untersuchung von Georg Rusche und Otto Kirchheimer über Sozialstruktur und Strafvollzug, mit der das Institut für Sozialforschung in den 1930er Jahren auf dem Feld der Soziologie des Strafens hervorgetreten war. Für die Studie, die wir hier veröffentlichen, hat Garland nun aber seine Herangehensweise grundlegend geändert; das Buch ist aus dem Impuls heraus geschrieben, uns dem Schock auszusetzen, dass wir inzwischen nahezu unbemerkt in einer Welt der Verbrechensbekämpfung und Strafjustiz leben, die mit den emanzipatorischen Idealen der jüngsten Vergangenheit nicht mehr das Geringste gemeinsam hat. Nicht die Freilegung einer untergründigen Kontinuität, sondern die Vergegenwärtigung eines tiefgreifenden, unsere Kultur im Ganzen betreffenden Bruchs ist das Ziel, das Garland sich gesetzt hat. An dieser Stelle, dort, wo es um die Herauspräparierung des vollkommen Neuartigen an unseren Praktiken der Verbrechensbekämpfung und des Strafens geht, kommt in seiner Studie die methodische Strategie Foucaults zum Tragen: Alle Vertrautheit und alle Vorverständigung hinter sich lassend, versucht Garland eine Perspektive einzunehmen, in der die gegenwärtigen Routinen der Sozialkontrolle, des Strafens und Überwachens sich als etwas so Fremdes zeigen, dass sie erst dadurch ihr neues Gesicht offenbaren. Allerdings ist sich Garland darüber im Klaren, dass ein solches Verfahren der Verfremdung leicht die Gefahr mit sich bringen kann, ein bloß fiktives Bild der Wirklichkeit zu erzeugen. Um dieser Tendenz zur Übertreibung entgegenzuwirken, verwendet er bei seiner Veranschaulichung der neuen Kultur des Überwachens und Strafens stets nur empirische Gegebenheiten; alles Material der Untersuchung ist aus einem empirischen Vergleich der jüngsten Wandlungen in der Verbrechenskontrolle und Strafjustiz in England und in den USA gewonnen.
Inhalt
Vorwort von Klaus Günther und Axel Honneth Vorwort zur deutschen Ausgabe: Die Kultur der Kontrolle nach dem 11. September 2001 Einleitung 1. Eine Geschichte der Gegenwart 2. Die moderne Strafjustiz und der strafende Wohlfahrtsstaat 3. Die Krise der Strafrechtsmoderne 4. Sozialer Wandel und Gesellschaftsordnung in der Spätmoderne 5. Die Politik in der Zwickmühle: Anpassung, Verleugnung, Ausagieren 6. Der Kriminalitätskomplex: Die Kultur der high crime societies 7. Die neue Kultur der Verbrechenskontrolle 8. Verbrechenskontrolle und soziale Ordnung Anhang Literatur