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Barack Obama, Fidel Castro und Willy Brandt besitzen es: politisches Charisma. Der Begriff ist in der öffentlichen Diskussion allgegenwärtig, verhüllt aber bei genauem Hinsehen mehr, als er erklärt. Die Autorinnen und Autoren untersuchen daher, wie Charisma funktioniert: Wieso werden bestimmte Persönlichkeiten als charismatisch anerkannt? Welche Rolle spielen politische, kulturelle und historische Rahmenbedingungen für die Charisma-Zuschreibung? Und was passiert, wenn das Charisma verblasst? Der Band beleuchtet diese Fragen aus interdisziplinärer Perspektive. Analysiert werden Beispiele charismatischer Politiker in Demokratie und Diktatur, die Rolle medialer Inszenierung sowie psychologische und gewaltförmige Schattenseiten des Phänomens.
Autorentext
Dr. Berit Bliesemann de Guevara und Dr. Tatjana Reiber sind wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am Institut für Internationale Politik an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Leseprobe
Die geschilderten charismatischen Situationen werfen eine Reihe von Fragen auf. Woran "erkennen" die Zuschauer an der Berliner Siegessäule das Charisma Obamas? Wieso gewähren die Menschen dem Newcomer Obama bereitwillig den in ihrem Jubel zum Ausdruck kommenden Vertrauensvorschuss? Und wie und wieso ist Obama in diese Position eines Charismatikers gelangt? Wie funktioniert die Institutionalisierung von Charisma in einem Amt wie dem des "herrschenden Rechtsgelehrten"? Wie wird es auf andere Amtsträger übertragen? Was passiert, wenn das charismatische Amt auf eine vollkommen uncharismatische Persönlichkeit trifft? Und welche Rolle spielt Repression bei der Fortführung charismatischer Herrschaft in autoritären politischen Systemen? Unter welchen historischen Umständen konnte Willy Brandt in Deutschland eine solch charismatische Aura erlangen, dass sie bis heute noch in der SPD zu spüren ist? Welche Persönlichkeitsmerkmale spielten hier eine Rolle? Mangelt es heutiger Politik an charismatischen Persönlichkeiten wie Brandt? Und was bedeutet politisches Charisma ganz allgemein für die Demokratie? Wie "ehrlich" ist der Applaus für Fidel Castro in einem politischen System, das gegen Oppositionelle mit Repression vorgeht? Gibt es einen Unterschied zwischen "echtem" und "inszeniertem" Charisma? Warum kann Castro trotz prekärer sozioökonomischer Zustände in Kuba auch heute immer noch Charisma für sich beanspruchen und seine Herrschaft damit legitimieren? Und was kommt nach dem Charisma? Was passiert, wenn der charismatische Castro eines nicht zu fernen Tages stirbt? Politisches Charisma hat viele Gesichter. Und viele Facetten. Es kommt in dem spontanen Jubel für Obama ebenso zum Vorschein wie in den (möglicherweise inszenierten) stehenden Ovationen für Fidel Castro. Es zeigt sich in der symbolischen Bedeutung Willy Brandts für die SPD ebenso wie in dem von Ayatollah Khomeini geschaffenen Amt des "herrschenden Rechtsgelehrten ". Zwei Merkmale tauchen immer wieder auf: Es geht bei politischem Charisma um Führung: durch besondere Persönlichkeiten, in bestimmten Situationen, mittels spezifischer Charakteristika und Techniken. Es geht aber auch um Verführung: um Emotionalisierung und Hingabe der Geführten, aber auch um ihre Manipulation etwa mittels Inszenierung oder gar Repression. Die Vielfalt der politischen Persönlichkeiten, die als charismatisch gelten, und der politischen Situationen, in denen Charisma eine Rolle spielt, ist nicht nur ein Hinweis darauf, dass Charisma ein komplexes soziales Phänomen ist. Sie lässt auch vermuten, dass "Charisma nicht gleich Charisma" ist. Ziel des vorliegenden Bandes ist es deshalb zum einen, eine Bestandsaufnahme unterschiedlicher charismatischer Phänomene zu machen und diese zu ordnen. Zum anderen werden verschiedene Aspekte von Charisma in einzelnen Beiträgen einer tieferen Analyse unterzogen. Die Autoren betrachten das Phänomen Charisma dabei aus interdisziplinärer Perspektive; unter ihnen finden sich Politologen, Journalisten, Historiker, Kommunikationswissenschaftler, Psychologen und Regionalwissenschafter. Sie alle teilen jedoch zwei Grundannahmen zum Charisma, die den "kleinsten gemeinsamen Nenner" der hier versammelten Beiträge bilden. Die erste Prämisse ist, dass Charisma immer Ausdruck einer sozialen Beziehung zwischen charismatischem Anführer und Anhängerschaft ist. Eine charismatische Beziehung sagt damit mindestens genauso viel (oder mehr) über die Anhänger aus wie über den Charismaträger selbst und ist nur aus der Binnenperspektive der Anhänger wirklich zu verstehen. Die zweite Grundannahme ist, dass Charisma ein kontextgebundenes Phänomen ist, das nicht zeit- und raumübergreifend bestimmt werden kann, sondern jeweils in den konkreten historischen, politischen, kulturellen, sozioökonomischen und psychologischen Kontext eingeordnet werden muss, um es erklären zu können. Der Bestandsaufnahme und analytischen Einordnung der unterschiedlichen charismatischen Phänomene und Fragestellungen in der Politik nehmen sich Berit Bliesemann de Guevara und Tatjana Reiber in dem Beitrag "Popstars der Macht: Charisma und Politik" an. Sie entwerfen eine Dreiertypologie, die zwischen außeralltäglichem, veralltäglichtem und Alltagscharisma differenziert. Die Unterschiede zwischen den drei Typen lassen sich mit deren jeweiliger Genese und Wirkung bzw. Funktion erklären. Anschließend diskutieren die Autorinnen unterschiedliche Kontextfaktoren, die auf die Ausformung und Bedeutung von Charisma Einfluss nehmen können. Dieser Theoriebeitrag dient nicht zuletzt der Einordnung der anderen Beiträge des Bandes, die sich mit Einzelaspekten von Charisma beschäftigen, spinnt also quasi den "roten Faden" für das Buch. Drei Beiträge widmen sich Charisma im Kontext westlich-demokratischer Staaten. Christoph von Marschall geht unter der Titelfrage "Barack Obama - ein schwarzer Kennedy?" dem Zusammenhang von "Charisma und politischer Führung in den USA" nach. Er zeichnet die politische Karriere des ersten US-Präsidenten afroamerikanischer Herkunft nach und reflektiert die Rolle persönlicher Eigenschaften, gezielter medialer Inszenierungen und des US-amerikanischen politischen Systems darin. Besondere Betonung legt der Autor auf den politischen Kontext von Obamas Aufstieg: den Kontrast zur Politik George W. Bushs. Von Marschall zeigt aber auch, an welche Grenzen visionäre Charismapolitik gerät, sobald sie auf die Realitäten und Anforderungen der Tagespolitik stößt. In seinem Beitrag "Jörg Haider - charismatischer Führer, narzisstische Persönlichkeit und Rechtspopulist" untersucht Johannes Steyrer anhand theoretischer psychologischer Konzepte die Zusammenhänge zwischen charismatischen Beziehungen und Narzissmus. Der Autor zeichnet den schmalen Grat nach, der zwischen beiden Phänomenen liegt, und zeigt am Beispiel der posthumen Medienrezeption des österreichischen Rechtspopulisten Haider, wie sich beide Aspekte - Charisma ebenso wie Narzissmus - in dessen öffentlicher Wahrnehmung widerspiegeln. Im dritten Artikel zu Charisma in der westlichen Demokratie widmen sich Tatjana Reiber und Berit Bliesemann de Guevara unter dem Titel "Von Visionären und weisen alten Männern" einem Vergleich des "Charismas bei Willy Brandt und Helmut Schmidt". Im Mittelpunkt stehen dabei zwei Punkte: Zum einen erklären die Autorinnen, warum und wie Bundeskanzler Willy Brandt zu einer außeralltäglichen charismatischen Figur und Ikone aufsteigen konnte, während Helmut Schmidt in seiner Zeit als Bundeskanzler zwar Respekt und Bewunderung erntete, ihm jedoch nicht Hingabe und Verehrung entgegen gebracht wurden. Zum anderen gehen sie auf den bemerkenswerten Perzeptionswandel ein, der sich seit dem Ausscheiden Schmidts aus der aktiven Politik in der deutschen Öffentlichkeit vollzogen hat: Dem "Staatsmann außer Dienst" wird mittlerweile das Alltagscharisma eines "Wei…