Der gefeierte Klassiker in komplett überarbeiteter Neuausgabe: Lauscher ist ein Mensch, der stets in die Irre geht und dennoch immer ans Ziel gelangt. Als er einen geheimnisvollen Stein und eine Flöte erbt und dazu ein wundersames Holzstück geschenkt bekommt, setzt er alles daran, mit diesen magischen Gaben die Welt seinen Wünschen gemäß zu unterwerfen - und scheitert. Doch das Schicksal beschert ihm so manches phantastische Abenteuer, um ihn letztendlich auf seinen ganz persönlichen Weg zu führen ... 'Ein zauberhaftes Buch.' General-Anzeiger
Hans Bemmann (1922-2003) studierte Musikwissenschaft und Germanistik. 1983 schuf er mit dem Märchenroman 'Stein und Flöte' eines der Kultbücher der phantastischen Literatur, das in zahlreiche Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet wurde. Auch seine weiteren Romane, in denen er Märchen und Mythen mit der Bewußtwerdung des Menschen verknüpft, sind erfolgreich und in viele Sprachen übersetzt.
Autorentext
Hans Bemmann (19222003) studierte Musikwissenschaft und Germanistik. 1983 schuf er mit dem Märchenroman "Stein und Flöte" eines der Kultbücher der phantastischen Literatur, das in zahlreiche Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet wurde. Auch seine weiteren Romane, in denen er Märchen und Mythen mit der Bewußtwerdung des Menschen verknüpft, sind erfolgreich und in viele Sprachen übersetzt.
Leseprobe
Die Geschichte von Arni mit dem Stein
Diese Ereignisse liegen viele Jahre zurück. Arni war damals nicht viel älter als du heute, Lauscher. Ich trieb mich zu dieser Zeit fern im Osten herum, zog auf meinem Maultier von Dorf zu Dorf und probierte die Kraft meiner Flöte aus. Als ich eines Tages irgendwo in der Steppe saß und mir ein Süppchen kochte, tauchten am Horizont zwei Reiter auf und jagten auf ihren struppigen Pferdchen in rasendem Galopp geradewegs auf den Platz zu, den ich mir zum Lagern ausgesucht hatte. Der eine schien den anderen zu verfolgen und holte ihn genau an der Stelle ein, wo ich saß. Da riß der andere seinen Gaul herum, beide zogen ihre Gürtelmesser aus der Scheide und fingen an, auf Leben und Tod miteinander zu kämpfen.
Das störte meine Mittagsruhe empfindlich, und so holte ich meine Flöte aus der Tasche und blies ihnen ein Liedchen vor. Da ließen sie ihre Messer sinken, stiegen ab und kamen zu mir herüber. Ich sah sofort, daß sie Zwillinge waren; denn man konnte sie kaum auseinanderhalten: die gleichen flachnasigen, kühnen Gesichter, die gleichen dunkelbraunen Augen, die gleichen strähnigen schwarzen Zöpfe an den Schläfen, die gleiche breitschultrige, etwas kurzbeinige Gestalt, sogar ihre Kleidung unterschied sich nicht, und es waren auch die gleichen Gürtelmesser, mit denen sie aufeinander losgestochen hatten.
»Wollt ihr mitessen?« fragte ich. »Ich habe da ein kräftiges Süppchen gekocht. Seid meine Gäste!«
Eine solche Einladung auszuschlagen, ist dortzulande die schlimmste Beleidigung, und so nickten die beiden und setzten sich ans Feuer. Wir aßen meine Suppe, und sie schmeckte ihnen, denn ich hatte sie mit frischen Kräutern gewürzt. Dann wischten sie sich die Lippen und schauten mich erwartungsvoll an; denn in den Steppen des Ostens ist es üblich, daß der Gastgeber das Gespräch eröffnet, und während des Essens gehört es sich nicht, von belangvollen Dingen zu reden.
»Ich danke euch«, sagte ich also, »daß ihr mein bescheidenes Mahl mit mir geteilt habt. Und nun würde ich gern erfahren, was zwei Brüder dazu treibt, mit den Messern aufeinander loszugehen.«
Die beiden warfen einander einen finsteren Blick zu, starrten eine Zeitlang vor sich hin und fingen dann gleichzeitig an zu sprechen.
»Halt«, sagte ich, »immer einer nach dem anderen. Und wenn ihr euch nicht einigen könnt, wollen wir würfeln, wer zuerst sprechen soll.«
Ich kramte einen Ziegenknöchel aus der Tasche und sagte zu dem, der rechts von mir saß: »Für dich gilt die gelochte Seite«, und zum linken sagte ich: »Du hast die glatte.« Dann warf ich den Knöchel, und der rechte hatte das Wort.
»Du kennst unsere Bräuche gut, Fremder«, sagte er.
»Ein wenig«, sagte ich. »Nur von dem Brauch, daß Brüder einander ans Leben wollen, wußte ich noch nichts. Wer seid ihr überhaupt?«
»Wir sind die beiden Söhne des Khans der Beutereiter«, sagte der Rechte. »Ich bin Hunli, und er ist Arni, Zwillinge, wie du siehst, und keiner kann uns sagen, wer von uns als erster aus dem Mutterleib gekrochen ist. Darauf hat wohl niemand geachtet. Nun streiten wir uns darum, wer von uns als Nachfolger des Khans gelten soll. Nur einer kann herrschen, und der andere muß dienen. Ich bin der bessere Reiter, und da wir auf dem Rücken unserer Pferde leben, verlange ich das Recht der Nachfolge.«
»Ich bin der bessere Bogenschütze«, fiel ihm Arni ins Wort, »und da wir von der Jagd auf Beute leben, verlange ich das Recht der Nachfolge.«
»Ich bin der b