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Die große Philosophin Hannah Arendt porträtiert Persönlichkeiten wie Rosa Luxemburg, Karl Jaspers, Bertolt Brecht, Walter Benjamin und Tania Blixen: 'Gemeinsam ist allen das Zeitalter, in das ihre Lebenszeit fiel, die Welt der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit ihren politischen Katastrophen, moralischen Desastern und einer erstaunlichen Entwicklung von Kunst und Wissenschaft.'
Hannah Arendt, am 14. Oktober 1906 in Hannover geboren und am 4. Dezember 1975 in New York gestorben, studierte Philosophie, Theologie und Griechisch unter anderem bei Heidegger, Bultmann und Jaspers, bei dem sie 1928 promovierte. 1933 emigrierte sie nach Paris, 1941 nach New York. Von 1946 bis 1948 war sie als Lektorin, danach als freie Schriftstellerin tätig. Sie war Professorin für Politische Theorie in Chicago und lehrte ab 1967 an der New School for Social Research in New York. Zuletzt erschien bei Piper 'Was heißt persönliche Verantwortung in einer Diktatur?'.
Autorentext
Hannah Arendt, am 14. Oktober 1906 in Hannover geboren und am 4. Dezember 1975 in New York gestorben, studierte Philosophie, Theologie und Griechisch unter anderem bei Heidegger, Bultmann und Jaspers, bei dem sie 1928 promovierte. 1933 emigrierte sie nach Paris, 1941 nach New York. Von 1946 bis 1948 war sie als Lektorin, danach als freie Schriftstellerin tätig. Sie war Professorin für Politische Theorie in Chicago und lehrte ab 1967 an der New School for Social Research in New York. Zuletzt erschien bei Piper "Was heißt persönliche Verantwortung in einer Diktatur?".
Leseprobe
Gedanken zu Lessing
Von der Menschlichkeit in finsteren Zeiten I
Die Auszeichnung, die eine freie Stadt verleiht, und ein Preis, der sich auf den Namen Lessings beruft, sind eine große Ehrung. Ich gebe zu, daß ich nicht weiß, wie ich dazu gekommen bin, und auch, daß es mir nicht ganz leicht gefallen ist, damit zu Rande zu kommen. Dabei darf ich von der heiklen Frage des Verdienstes ganz absehen. Gerade in dieser Hinsicht erteilt uns die Ehrung ja eine sehr eindringliche Lektion in Bescheidenheit, indem sie uns einfach die Kompetenz abspricht, über uns selbst und unsere eigenen Verdienste so urteilen zu können, wie wir über die Verdienste und Leistungen anderer Menschen urteilen. In der Ehrung meldet sich die Welt zu Wort, und wenn wir sie annehmen und für sie danken, so können wir es nur ohne alle Selbstreflexion im Rahmen unserer Haltung zur Welt, zu einer Welt und Öffentlichkeit nämlich, welcher wir den Raum verdanken, in den wir sprechen und in dem wir gehört werden.
Aber die Ehrung mahnt uns nicht nur auf besondere, unüberhörbare Weise an die Dankbarkeit, die wir der Welt schulden; sie ist darüber hinaus in einem sehr hohen Maße weltverpflichtend, weil sie uns, da wir sie ja auch immer ablehnen können, in unserer Stellung zur Welt nicht nur bestärkt, sondern uns auch auf sie festlegt. Daß ein Mensch in der Öffentlichkeit überhaupt erscheint, daß die Öffentlichkeit ihn akzeptiert und bestätigt, ist keineswegs selbstverständlich. Nur das Genie wird von seiner Begabung selbst in die Öffentlichkeit gedrängt und braucht sich zu ihr nicht erst zu entschließen. In diesem einzigen Fall setzt die Ehrung dann den Einklang mit der Welt nur fort, läßt den Grundakkord nochmals in aller Öffentlichkeit erklingen, der unabhängig von Überlegungen und Entschlüssen, unabhängig auch von allen Verpflichtungen, gleichsam wie ein Naturphänomen bereits in die Menschengesellschaft geklungen ist. Hier gilt in der Tat, was Lessing einmal in zwei seiner schönsten Verszeilen über den genialen Mann gesagt hat:[1]
Was ihn bewegt, bewegt; was ihm gefällt, gefällt.
Sein glücklicher Geschmack ist der Geschmack der Welt.
Nichts, scheint mir, ist in unserer Zeit fragwürdiger als unsere Haltung zur Welt, nichts weniger selbstverständlich als der Einklang mit der Öffentlichkeit, zu dem die Ehrung verpflichtet und den sie bestätigt. In unserem Jahrhundert hat selbst das Geniale sich nur im Widerspruch und Streit mit der Welt und ihrer Öffentlichkeit entfalten können, wiewohl es natürlich wie eh und je den ihm eigenen Einklang in die Menschengesellschaft findet. Aber die Welt und die Menschen, welche sie bewohnen, sind nicht dasselbe. Die Welt liegt zwischen den Menschen, und dies Zwischen - viel mehr als, wie man häufig meint, die Menschen oder gar der Mensch - ist heute der Gegenstand der größten Sorge und der offenbarsten Erschütterung in nahe-zu allen Ländern der Erde. Selbst wo die Welt noch halbwegs in Ordnung ist oder halbwegs in Ordnung gehalten wird, hat die Öffentlichkeit doch die Leuchtkraft verloren, die ursprünglich zu ihrem eigensten Wesen gehört. Mehr und mehr Menschen in den Ländern der westlichen Welt, die seit dem Untergang der Antike die Freiheit von Politik als eine der Grundfreiheiten begreift, machen von dieser Freiheit Gebrauch und haben sich von der Welt und den Verpflichtungen in ihr zurückgezogen. Dieser Rückzug aus der Welt braucht den Menschen nicht zu schaden, er kann sogar große Begabungen bis ins Genialische steigern und so auf Umwegen wieder der Welt zugute kommen. Nur tritt mit einem jeden solchen Rückzug ein beinahe nachweisbarer Weltverlust ein; was verlorengeht, ist der spezifische und meist unersetzliche Zwischenraum, der sich gerade zwischen diesem Menschen und seinen Mitmenschen gebildet hätte.
Wenn man sich so überlegt, wie es denn eigentlich um Ehrungen und Preise der Öffentlichkeit unter den gegenwärtigen Weltumständen bestellt sei, kann