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'Es wäre ein Gewinn, wenn das Interesse an dem Thema auch Leser, die sich bisher mit Psychoanalyse überhaupt nicht beschäftigt haben, dazu führen würde, einen ersten Schritt in diese in Deutschland lange Zeit unterdrückte Gedanken- und Erkenntniswelt zu machen. Wer die Jahre vor 1933 noch einigermaßen bewusst, wenn auch jugendlich miterlebt hat, kann heutzutage nur staunen, wie ahnungslos die Generation der jetzt 40-Jährigen diesem ganzen Komplex gegenübersteht. Worte wie ?Minderwertigkeitsgefühl? oder ?Unbewusstes? mögen sich zwar in unserer Sprache eingebürgert haben, doch zum Beispiel ein Begriff wie ?Übertragung? begegnet vollkommenem Unverständnis.' Margret Boveri
Alexander Mitscherlich, geboren 1908 in München, gestorben 1982 in Frankfurt/Main, war Psychoanalytiker und Publizist. Er gilt als einer der bedeutendsten Psychoanalytiker und Publizisten der Nachkriegszeit. Vor allem wegen seiner individualpsychologisch fundierten Gesellschaftskritik, in der er sich mit der NS-Zeit auseinander setzte, stieß er bei vielen Intellektuellen, insbesondere der 1968er Studentengeneration, auf große Zustimmung. Nach einem geisteswissenschaftlichen Studium und Verhaftungen durch die Nationalsozialisten wegen politischer Betätigung studierte Mitscherlich ab 1933 Medizin in Zürich und später in Heidelberg. 1946/47 nahm er als Beobachter und Berichterstatter am Nürnberger Prozess gegen führende NS-Ärzte teil (Medizin ohne Menschlichkeit). 1949 gründete er an der Universität Heidelberg die Abteilung für psychosomatische Medizin, die er selbst leitete. 1952 wurde er in Heidelberg zum Professor ernannt. Ab 1960 war Mitscherlich Leiter des Sigmund-Freud-Instituts in Frankfurt/Main, einer Lehr- und Forschungseinrichtung für Psychoanalyse. 1966 wurde er an der Frankfurter Universität zum Lehrstuhlinhaber für Psychologie berufen. 1969 erhielt er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Mitscherlich war bestrebt, psychoanalytische Methoden und Erkenntnisse auf gesellschaftliche Erscheinungen anzuwenden. Seine Kritik an wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Phänomenen richtete sich an psychologischen Gegebenheiten aus. In der Medizin trat Mitscherlich dafür ein, das Krankheitsgeschehen als einen vielschichtigen psychosomatischen Vorgang aufzufassen.
Autorentext
Alexander Mitscherlich, geboren 1908 in München, gestorben 1982 in Frankfurt/Main, war Psychoanalytiker und Publizist. Er gilt als einer der bedeutendsten Psychoanalytiker und Publizisten der Nachkriegszeit. Vor allem wegen seiner individualpsychologisch fundierten Gesellschaftskritik, in der er sich mit der NS-Zeit auseinander setzte, stieß er bei vielen Intellektuellen, insbesondere der 1968er Studentengeneration, auf große Zustimmung. Nach einem geisteswissenschaftlichen Studium und Verhaftungen durch die Nationalsozialisten wegen politischer Betätigung studierte Mitscherlich ab 1933 Medizin in Zürich und später in Heidelberg. 1946/47 nahm er als Beobachter und Berichterstatter am Nürnberger Prozess gegen führende NS-Ärzte teil (Medizin ohne Menschlichkeit). 1949 gründete er an der Universität Heidelberg die Abteilung für psychosomatische Medizin, die er selbst leitete. 1952 wurde er in Heidelberg zum Professor ernannt. Ab 1960 war Mitscherlich Leiter des Sigmund-Freud-Instituts in Frankfurt/Main, einer Lehr- und Forschungseinrichtung für Psychoanalyse. 1966 wurde er an der Frankfurter Universität zum Lehrstuhlinhaber für Psychologie berufen. 1969 erhielt er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Mitscherlich war bestrebt, psychoanalytische Methoden und Erkenntnisse auf gesellschaftliche Erscheinungen anzuwenden. Seine Kritik an wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Phänomenen richtete sich an psychologischen Gegebenheiten aus. In der Medizin trat Mitscherlich dafür ein, das Krankheitsgeschehen als einen vielschichtigen psychosomatischen Vorgang aufzufassen.
Leseprobe
Vorbemerkung
Von allen Staatsformen gewährt die parlamentarische Demokratie ihren Mitgliedern das größte verbriefte Recht auf individuelle Freiheit. In Tat und Wahrheit ist der Spielraum nicht groß. Es kann deshalb nicht als Ausdruck eines ängstlichen Pessimismus gedeutet werden, wenn man sich um den Fortbestand dieses Wenigen Sorge macht. Denn offenbar fällt es unvergleichlich schwerer, eine kollektive Lebensform zu erreichen, welche Gedankenfreiheit gewährt - als Basis jeder Freiheitserfahrung -, als diese Freiheit wieder zu verlieren.
Die Abhandlungen dieses Buches untersuchen psychische Prozesse in großen Gruppen, als deren Folge sich Freiheit oder Unfreiheit der Reflexion und der Einsicht ausbreiten. Es wird also der Versuch unternommen, einigen Grundlagen der Politik mit Hilfe psychologischer Interpretation näherzukommen, der Interpretation dessen, was Politik macht, nämlich menschlichen Verhaltens in großer Zahl.
Den Ausgangspunkt solcher Überlegungen bildet die Bundesrepublik. In ihr erfahren deutsche Bürger zum ersten Mal demokratische Gedankenfreiheit in Verbindung mit der Ausbreitung relativen Wohlstands. Der Beobachter dieses politischen Gebildes sieht sich jedoch zu der Frage gedrängt, wieviel Leidenschaft für die Demokratie sich zeigen würde, wenn die bundesrepublikanischen Geschäfte einmal entschieden schlechter gehen sollten. Gibt es neben unserem Streben nach Reichtum auch ein neuerdings erwachtes nach Freiheit? Mehrt oder mindert sich die Toleranz, abweichende Meinungen - auch solche, die uns ärgern - zu ertragen und zu achten? Ist Gedankenfreiheit für die Bürger unseres Landes zur unabdingbaren Forderung an ihre Gesellschaft geworden? Mit anderen Worten: Wird diese Freiheit lebendig empfunden, oder ist sie ein günstiger Zufall, der wie in der Weimarer Republik rasch wieder verlorengehen könnte? Das sind Fragen nach der Stabilität des Bewußtseins der Vielen, welche unsere Öffentlichkeit ausmachen.
Manches spricht für eine Demokratisierung des Landes, manches zeigt, wie leichthin das Wort gebraucht wird und wie hartnäckig vordemokratische Anschauungen sich am Leben halten. Es ist nicht die Absicht der Autoren, berechtigtes Mißtrauen vor deutschen Überraschungen zu schüren, es geht ihnen vielmehr um die Vergrößerung der Einsicht in jene Motive, welche die Direktiven für unsere Politik von langer Hand her bestimmen. Dieser Einsicht bedürfen wir aber besonders, um zu verstehen, was sich in diesem Jahrhundert in unserem Land zugetragen hat, und womöglich daraus zu lernen.
Das kann nicht ohne Berührung neuralgischer Punkte abgehen. Wo aber Gedankenfreiheit nicht fortwährend kritisch herausgefordert wird, ist sie in Gefahr, wieder zu verlöschen. Denn sie ist an den schwächsten Teil unserer seelischen Organisation, an unser kritisches Denkvermögen, geknüpft.
Vornehmlich in dem Kapitel Über die Unfähigkeit zu trauern werden Tabus angefaßt. Es wird der psychologische Nachweis versucht, warum bis heute die Epoche des Dritten Reiches - und schon zuvor der Zusammenbruch der Weimarer Republik durch demokratiefeindliches Verhalten ihrer Bürger - nur unzulänglich kritisch durchdrungen wurde. Das trifft natürlich nicht auf das Wissen einiger Fachleute zu, sondern auf die mangelhafte Verbreitung dieses Wissens im politischen Bewußtsein unserer Öffentlichkeit. Wir - als ein Kollektiv - verstehen uns in diesem Abschnitt unserer Geschichte nicht. So wir überhaupt darauf zurückkommen, verlieren wir uns vornehmlich in Ausflüchten und zeigen eine trügerische Naivität; de facto ist unser Verhalten von unbewußt wirksam gewordenen Verleugnungen bestimmt. Infolgedessen ist unser Selbstvertrauen unsicherer, als es sein könnte.
Die Autoren bemühen sich, schwer verfolgbare Bedingungszusammenhänge sichtbar werden zu lassen. Es kommt ihnen auf die Darstellung einiger, wie sie meinen, unsere Gedankenfreiheit einengender Verhaltensweisen an. Das ist gewiß nicht alles,