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Mit den Justizreformen des Jahres 1864 hatte Rußland formal den Weg des westlichen Rechtsstaates beschritten. Die Justizreformer verwirklichten die Prinzipien der Gewaltenteilung und der Unabhängigkeit der Richter. Moderne Prozeßordnungen führten die Öffentlichkeit und Publizität des Prozesses ein und schützten den Angeklagten vor dem willkürlichen Zugriff des Staates. Das Buch sucht die Frage zu beantworten, inwieweit der moderne Rechtsstaat unter den Bedingungen sozio-ökonomischer Rückständigkeit, der Parallelität verschiedener Kulturen und Herrschaftsstile, der Polyethnizität des Zarenreiches und einer spätabsolutistischen politischen Ordnung überhaupt verwirklicht werden konnte. Einer Bestandsaufnahme der institutionellen Neuerungen von 1864, die in den beiden ersten Kapiteln geleistet wird, folgt jeweils ein Kapitel über die Geschworenengerichte, die Friedensrichter und die Implementierung der Reform in unterschiedlichen Regionen des Zarenreiches. Die Rechtswirklichkeit erwies, daß das moderne Recht und seine Vermittler im ländlichen Rußland und in den asiatischen Randzonen des Reiches auf Unverständnis und Ablehnung stießen. Die Geschworenengerichte reflektierten das Rechtsverständnis der bäuerlichen Laienrichter und widersprachen dem staatlichen Aufklärungsauftrag. Das Buch schließt mit zwei Kapiteln über die russische Rechtsanwaltschaft und die Gerichte im Spannungsfeld der politischen Justiz bis 1914. Dabei wird deutlich, daß die juristischen Berufsgruppen zum Asyl der politischen Opposition wurden, weil die Mitgliedschaft in ihnen de jure zur Artikulation des politischen Gegenentwurfes berechtigte Die zarische Regierung hielt an den Errungenschaften der Gewaltenteilung fest. Sie entließ die Juristen aus der Obhut des Staates und schuf damit die Voraussetzungen für die Entstehung einer liberalen Opposition im Zarenreich. Die zarische Bürokratie suchte die Vormoderne mit den Instrumenten der Moderne zu beherrschen. Sie erreichte indessen nur, daß Herrschaft unvermittelt blieb. Modernisierung und Revolution stehen in einem Kausalnexus.
Autorentext
Jörg Baberowski ist Professor für Geschichte Osteuropas an der Humboldt-Universität Berlin.
Klappentext
Mit den Justizreformen des Jahres 1864 hatte Rußland formal den Weg des westlichen Rechtsstaates beschritten. Die Justizreformer verwirklichten die Prinzipien der Gewaltenteilung und der Unabhängigkeit der Richter. Moderne Prozeßordnungen führten die Öffentlichkeit und Publizität des Prozesses ein und schützten den Angeklagten vor dem willkürlichen Zugriff des Staates. Das Buch sucht die Frage zu beantworten, inwieweit der moderne Rechtsstaat unter den Bedingungen sozio-ökonomischer Rückständigkeit, der Parallelität verschiedener Kulturen und Herrschaftsstile, der Polyethnizität des Zarenreiches und einer spätabsolutistischen politischen Ordnung überhaupt verwirklicht werden konnte. Einer Bestandsaufnahme der institutionellen Neuerungen von 1864, die in den beiden ersten Kapiteln geleistet wird, folgt jeweils ein Kapitel über die Geschworenengerichte, die Friedensrichter und die Implementierung der Reform in unterschiedlichen Regionen des Zarenreiches. Die Rechtswirklichkeit erwies, daß das moderne Recht und seine Vermittler im ländlichen Rußland und in den asiatischen Randzonen des Reiches auf Unverständnis und Ablehnung stießen. Die Geschworenengerichte reflektierten das Rechtsverständnis der bäuerlichen Laienrichter und widersprachen dem staatlichen Aufklärungsauftrag. Das Buch schließt mit zwei Kapiteln über die russische Rechtsanwaltschaft und die Gerichte im Spannungsfeld der politischen Justiz bis 1914. Dabei wird deutlich, daß die juristischen Berufsgruppen zum Asyl der politischen Opposition wurden, weil die Mitgliedschaft in ihnen de jure zur Artikulation des politischen Gegenentwurfes berechtigte Die zarische Regierung hielt an den Errungenschaften der Gewaltenteilung fest. Sie entließ die Juristen aus der Obhut des Staates und schuf damit die Voraussetzungen für die Entstehung einer liberalen Opposition im Zarenreich. Die zarische Bürokratie suchte die Vormoderne mit den Instrumenten der Moderne zu beherrschen. Sie erreichte indessen nur, daß Herrschaft unvermittelt blieb. Modernisierung und Revolution stehen in einem Kausalnexus.
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