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Das Johannesevangelium ist einer der bekanntesten und schwierigsten Texte des Neuen Testaments und hat mit seiner poetischen Schönheit und tiefen Spiritualität bereits viele Interpreten beschäftigt. Von besonderer Kraft und klarer Vision ist die Deutung von Johannes Scotus Eriugena, des irischen Weisen aus dem 9. Jahrhundert. Seine Homilie über den Prolog dieses Evangeliums, die im Mittelalter sehr einflussreich war, ist eines der frühesten Zeugnisse keltisch-christlicher Mystik und deutet die Schrift außergewöhnlich originell und inspiriert. Auf den Schwingen des Adlers (dem traditionellen christlichen Symbol für Johannes) trägt Eriugena den Leser empor und lässt ihn den Ursprung des Universums und sein eigenes Wesen aus einer Perspektive schauen, die weit über die Welt der Erscheinungen hinausgeht. Für Eriugena ist Gott transzendent in seinem unerschaffenen Wesen und gleichzeitig immanent in seiner erschaffenen Natur. Diese hat sich im Anfang von Gott entfremdet und ist nun aufgefordert, zu ihm zurückzukehren. Jesus, das Fleisch gewordene Wort, erinnert den Menschen an sein wahres Wesen und seine Bestimmung zur Rückkehr in die Einheit allen Seins. Dieses Buch erschließt die Homilie Eriugenas in der wunderbaren Übersetzung und mit den ausführlichen Reflexionen von Christopher Bamford, dem renommierten Autor und Herausgeber auf dem Gebiet der westlichen Spiritualität.
Autorentext
Johannes Scotus Eriugena (ca. 810 ca. 877) war Ire und muss in Irland ausgebildet worden sein oder zumindest in der keltischen Tradition, wie dies die Bandbreite seiner Gelehrtheit bezeugt. Er beherrschte das Griechische, etwas Hebräisch, hatte es zur vollen Meisterschaft in den sieben freien Künsten gebracht und besaß ein tiefes, gelebtes Wissen vom christlichen Leben und der Theologie, das aus den Klosterschulen der keltischen Kirche stammte, die für viele das höchste je erreichte Niveau spiritueller Kultur des Christentums darstellt. Schon um 850 war Eriugena in Frankreich ein angesehener Gelehrter, der mit der Kathedralschule von Laon verbunden und mit König Karl dem Kahlen gut bekannt war. Er wird das erste Mal im Zusammenhang mit dem Disput um die so genannte augustinsche Lehre der doppelten Prädestination erwähnt. Mit Eriugenas Eintritt in diese lautstark geführte Kontroverse wurde theologische Haarspalterei zu einem tief gehenden theologischen Disput. Eriugena vertrat die These, dass wahre Religion und wahre Philosophie ein und dasselbe seien: Da wahre Philosophie nämlich auf der Einheit Gottes beruhe, der einzigen Wirklichkeit, die per Definition gut sei, könne es nur eine einzige Prädestination geben, nämlich die zur ewigen Erlösung. Auch könnte es schließlich, da das Universum eins ist, keinen Ort der ewigen Bestrafung geben. Alle Dinge stammen vom Guten und müssen im Guten enden. Die einzige Hölle ist die Unwissenheit. Für diese Auffassungen wurde Eriugena gerügt, und sein Werk wurde auf der Synode von Valence (855) als pultes scottorum, als »Brei des Kelten«, verdammt. Die Überlegenheit seines Geistes konnte jedoch nicht geleugnet werden. Deshalb wurde er von Karl dem Kahlen gebeten, die Werke des großen mystischen Theologen Dionysius Areopagita, aus dem Griechischen zu übersetzen. Als sein Hauptwerk gilt das Periphyseon oder Über die Einteilung der Natur. Diese erstaunliche Synthese aus Theologie, Philosophie, Kosmologie und Anthropologie stellt eine perfekte, nicht-dualistische Verschmelzung von Christentum und Platonismus dar und bildet im Westen die einzige philosophische Alternative zur aristotelischen Scholastik des heiligen Thomas von Aquin. Um die Bedeutung von Eriugenas Denken aufzuzeigen, müssen nur zwei Punkte dargestellt werden. Erstens gibt es bei ihm keinen Gegensatz zwischen Sein und Bewusstsein oder Bewusstsein und Natur. Diese sind in einer einzigen Einheit komplementär, Pole eines einzigartigen Prozesses, der sich als Wissen im Göttlichen Bewusstsein vollzieht und dessen Existenz ein Göttliches Ausströmen mittels Hierarchie und Teilhabe ist. Zweitens ist der dreigliedrige Mensch aus Körper, Seele und Geist primär. Als Mittelpunkt von und Vermittler zwischen Himmel und Erde, Sichtbarem und Unsichtbarem, ist der Mensch für Eriugena der Ort, wo und das Mittel oder Werkzeug, durch das das gesamte Universum vereinigt und umgeformt werden und Gott in seiner eigenen Selbstkenntnis erkannt werden kann. Solche Prämissen waren für eine Kirche, die darum bemüht war, eine ungebildete Bevölkerung sozial und politisch zusammenzuhalten, gefährlich. Das Ergebnis war, dass Eriugenas Werk 1225 durch eine päpstliche Bulle verdammt wurde. Glücklicherweise geschah dies jedoch nicht, bevor sein Einfluss sehr stark auf die Wiedergeburt der »symbolischen« Mentalität in der Renaissance des zwölften Jahrhunderts einwirkte, sowohl in der Schule von Chartres als auch unter den Zisterziensern und in der Schule von St. Viktor. Neben den schon erwähnten Werken schrieb Eriugena auch eine verloren gegangene Abhandlung über die Eucharistie, einen Kommentar über Martianus Capellas Die Hochzeit Merkurs und der Philologie, einige Gedichte und die Homilie über den Prolog des Johannesevangeliums.